<b>Lebensteilung</b>
Vor sieben Monaten begann mein neues Leben. Es fing an als ich mit meiner Zeitung saß und eine Anzeige dort las.
Den Leser fragten diese Zeilen, ob er sich täglich müsse eilen, ob immer hetzen und sich sputen, ob fehlen Stunden und Minuten.
Man wisse, wieviel Schwierigkeiten die Pflichten täglich uns bereiten und dass dabei zu kurz oft kommt, was unserer Erholung frommt.
Man kenne nicht nur das Problem, auch eine Lösung - ganz bequem - hat man dafür bereits gefunden: der Tag braucht achtundvierzig Stunden.
Die Vierundzwanzig wird verdoppelt, der Mensch mit seinem Klon gekoppelt. Der Klon wird dann zum Arbeitstier, der Mensch genießt die Freiheit hier.
Ich muss gestehn, der Klon war teuer. Indes, es lohnt sich ungeheuer. Was ich nicht will, dass ich es tu, das schieb ich meinem Klon jetzt zu.
Das Putzen, Bügeln oder Waschen, das Schleppen schwerer Einkaufstaschen, das macht von nun an dieses Wesen. Ich kann inzwischen Bücher lesen.
Bei Ämtern in der Schlange stehn und zu Beerdigungen gehn, das Auto in die Waschanlage, Bekämpfung einer Läuseplage,
am Sonntag Erbtante besuchen, das Sodbrennen von ihrem Kuchen, das übernimmt der Klon mit Freuden. Ich brauche keine Zeit vergeuden.
Von nun an teile ich mein Leben, dem Klon kann ich die Arbeit geben, mir selbst bleibt einzig das Vergnügen mich in die Freizeit zu verfügen. Doch plötzlich schüttelt mich die fiese, Dual-Identitätenkrise. Bin ich noch ich? Bin ich es nicht? Der Spiegel zeigt mir mein Gesicht.
Ist diese Fratze wirklich meine? Oder grinst mir entgegen seine? Bin ich der Mensch? Bist du der Klon? Ist's andersrum? Wer weiß das schon?
Ich starr mich an, völlig verwirrt. Ich schlage zu. Der Spiegel klirrt. Ich dreh mich um, seh mich vor mir. Sind wir noch zwei? Sind wir schon vier?
Ich stürme schreiend durch die Wohnung und drohe, dass ich ohne Schonung dem Klon den Garaus machen werde, um wieder Herr zu sein am Herde.
Da klingelt es an meiner Tür. Ich stutze, öffne und dann spür ich harte Hände, die mich packen. Der eine hält mich fest am Nacken,
umklammert Arm und linkes Bein. Der andre wickelt schnell mich ein in eine enge, weiße Weste. "Wir wollen wirklich nur das Beste."
Mit diesen Worten zwingen sie mich gnadenlos auf meine Knie und transportieren mich - oh Graus - fort in ein irres Krankenhaus.
Inzwischen geht's mir richtig gut. Vergessen sind rasende Wut und wahnsinnige Mordgedanken. Hier kann ich endlich Ruhe tanken.
Bin wieder ich, mit mir allein, will niemals mehr verdoppelt sein und an ein zweites Ich gebunden. Mir reichen vierundzwanzig Stunden.
© U.L., Januar 2007
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