Lied des Bettlers
ich bin doch ewig euer Leid bin euch ewig ein Dorn im Auge ihr hättet es wohl gern ihr müsstet mich nicht sehen diesen kranken, alten Herrn
da sitze ich vor euch und huste mir die Seele hinaus meine Beine, die sind kaputt kann nicht mal mehr aus meinem alten Rollstuhl raus
die Handschuhe mit grossen Löchern da kommt die Kälte durch und durch die alte Jacke pfeift der Wind ein Junge läuft vorbei an der Hand der Mutter: " Schau mal Mama, der Mann da- hat der auch ein Kind?"
ihr seht ja nicht meine Träne wisst nicht wie weh mir mein Herz ein Kind, ja ein Kind hatte ich bis es an Hunger starb vor Jahren im März
Die Glocken, sie schlagen sieben die Geschäfte schliessen ihr habt Geschenke eingekauft und bestimmt keine Nieten in drei Tagen ist Heiligabend und ich bin krank, muss andauernd niesen
mein Kind, das liebte die Weihnachtszeit fragte immer nach dem Engel an der Baumspitze es war ja noch so klein und glaubte an den Weihnachtsmann mit seiner roten Mütze
" Kommt ein Engel auch zu mir? Ach, Papa sag doch? Kommt er in der Nacht zu Mama, mir oder dir? Und darf ich mir was wünschen, von den Sternen da oben noch? Ach Papa, ich möcht dir so viel erzählen und die Mama, die hat dich ja so lieb und entstehen Eisblumen aus Dampf?" Es wusst ja nicht, dass der Engel es bald hole im Hungerskampf.
es wär doch besser gleich zu sterben als zu warten bis die Kälte mich frisst ihr habt ja noch nicht mal ein Stück Brot oder einen Platz auf euren Mist
die kaputten Füsse könnt ich mir da wärmen im Misthaufen bei euch daheim am Ofen wär ja doch kein Platz da seit ihr euch zu fein
und langsam fängt es zu schneien an die Eisblumen wachsen am Glase der Rollstuhl, der ist vereist ich komm nicht mehr weg, brauch Hilfe doch ihr rümpft nur eure Nase
ach einst, das würd ich euch gerne erzählen ich tat es glaube gerade schon da hatte ich selbst Hof und Mist, hatte Frau und Kind doch dann starb zuerst meine Frau und dann auch noch mein Kind
die Schulden für den Hof waren viel zu viel wir mussten hungern und sie wurden krank so plötzlich hatten wir keine Freunde mehr sie taten so als ob sie uns nicht kennen und uns ward mehr als bang unser Haus war auf einmal leer "Hunger? Das interessiert uns nicht!" sagte nur die Bank
Ja, einmal da liess ich selbst einen alten Bettler an meinem Ofen sitzen er war fast tot vom kalten Wetter ich wollt ihn unbedingt vorm Winter schützen
mein Kind schenkte ihm einen roten Apfel meine Frau strickte Handschuhe ihm ich gab ihm meine besten Stiefel und sagte: Hier nimm!
als es wärmer wurde da zog es ihn hinaus Du wirst sehen, sagte er einmal wirst auch du am Ofen sitzen als Bettler in einem Haus
Recht hatte er, er war wohl Hellseher ich bin ein Bettler ohne Haus aber für mich gibt es nirgendwo einen warmen Platz alle schmeissen mich hinaus
ich werd wohl morgen nicht mehr sein werd sterben nun in der Nacht der Schnee wird mich bedecken ich wünsch euch alles Gute und dank euch sehr
ihr liesset mich verrecken...
Copyright by Birgit Marie Nessel 2002
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