Tauben und Fahrgäste verschmelzen auf dem Bahnhof. Man duldet sich, nimmt aber keinerlei Notiz voneinander. Ich sitze auf einer Bank und warte auf den einrollenden Zug. Eine schwarze Taube mit roten Füssen tippelt an mir vorbei, eine Bogenschützin mit einem Fahrrad und hinter mir spricht eines unablässig in einem Schwall aus mir unbekannten Worten.
Seen und Flüsse tauchen auf, Kühe grasen auf sumpfigen Wiesen, Kiefernwälder, die Wolken sind tief und schwer.
Der Wagon in dem ich sitze, hat längst ausgedient. Kleine Schilder an den zerputzt milchigen Fenstern entschuldigen sich für den Zustand. Hier leuchten keine Anzeigetafeln, spricht niemand durch Lautsprecher. Ein hagerer Zugbegleiter mit verbeulten silbernen Kannen auf einem Servicewagen geht schweigend durch das beengte Abteil. Einem Mann gegenüber schläft eine Frau. Den Kopf an das Fenster gelehnt, das Haar blond und licht. Er, immer ein ruhendes Auge auf sie gerichtet, trägt ein rotes Hemd.
Der Zug ist überfüllt. Immer neue Fahrgäste ordnen sich ein. Ich muss näher ans Fenster rücken, mein Gepäck auf die Beine nehmen. Zwei alte Damen setzen sich zu mir und sprechen über den letzten Theaterbesuch; „Fatale Treue“ und von Fremden ist die Rede und dass Brigitte den Schokoladenpudding für Reinhard kocht.
Die Sonne steht höher, der Himmel wird klarer, die Schatten der Bäume auf den Feldern zeichnen sich jetzt deutlich ab. Noch bevor mein Zug wieder abfährt, gehe ich mir noch die Füße vertreten und aus dem Bahnhof hinaus in die erwachende Stadt. Eine junge Frau klemmt ungeschickt eine leere Flasche hinter die schwere Bahnhallentür, und geht weiter zu einer Bank, auf der ein gefaltetes Blatt Papier liegt, welches sie in die Hand nimmt und von allen Seiten betrachtet. Vorsichtig entfaltet legt sie es zurück und setzt ihren Weg fort. Wieder in der schallenden Bahnhofshalle schaue ich nochmal zurück. Sieben Tauben sitzen auf einem Dach.
Im Abteil hat sich etwas verändert. Wo eben noch der Leser saß, ist jetzt ein junges Mädchen, das sich an einem Zauberwürfel versucht. Etwas später gräbt sie in der Tasche und holt das Buch hervor: „Nur 6 Sekunden“. Dann spielt leise Musik und die Mutter saugt tief an einem Inhalator.
Zwei Stationen später steigt eine Braut ein. Eine Landkarte lugt zwischen den Seiten hervor. Der Zug rollt langsam wieder an. Die Brautjungfern tragen jetzt keine Blumenkränze mehr. Es ist Herbst und die Luft kühl und die Landschaft läuft vorbei. Aufgereiht Bäume, Häuser, Autos, Zugwagons…. Auf einem steht geschrieben: „Dompteur gesucht“.
Mein Blick fällt auf das Lesezeichen. Zahlenfolgen stehen darauf, weiße Punkte auf hellgrünem Papier und auf den Gleisen wächst ein Baum. Eine Frau trägt eine blaue Brille, ruft aus den Sitzreihen hinter mir.
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