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 Betreff des Beitrags: Schattenlos
BeitragVerfasst: Mi 11. Jan 2012, 20:54 
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Schattenlos


Es war einmal einer, der hatte keinen Schatten.
Er hieß - nein, nicht Schlemihl, sondern ... aber was tut das schon zur Sache.
„Mit dir kann man ja nicht spielen, weil du keinen Schatten hast“, sagten die Kinder und ließen ihn stehen.

Erst suchte er seinen Schatten hier und dort (weil er glaubte, er müsse doch irgendwo einen haben wie alle anderen auch), er suchte in der Schule, in den Büchern und bei den Ärzten, aber diese warfen keinen Schatten ab. Immer bekam er am Ende nur zu hören, dass man einen Schatten eben habe oder nicht habe, und da er keinen habe, gehöre er nun einmal nicht dazu. Niemand sagte ihm, was ein Schatten sei und wie und wo man einen solchen finden könne.

Geld, sich einen zu kaufen, hatte er keines.

Die Leute taten ihn als hoffnungslosen Fall ab, und mit der Zeit richtete er sich darin ein, schattenlos in einer Welt voller Schatten zu leben.

Gleichwohl konnte er nie aufhören zu rätseln und seine Mitmenschen zu studieren, um herauszufinden, warum er so wunderlich allein war in dieser Welt. Gab es denn niemanden sonst wie ihn?

Oh doch, immer mal wieder las und hörte er von solchen, sah auch einige, wie sie scheinbar ziellos durch die Straßen wanderten, genau wie er. Aber sie waren scheue Wesen wie er selbst, die keine Schatten warfen, kein Wesen um sich machten und nicht den Eindruck erweckten, als wollten sie mit irgend jemandem zu tun haben.
So ließ er sie in Ruhe.

Dennoch wuchs sich seine Sehnsucht nach ganz gewöhnlichem, alltäglichem Umgang mit Menschen stark, und er sann darüber nach, wie er auf für sie und ihn schonende Weise mit ihnen in Verbindung treten könnte, um ein wenig am Leben teilzunehmen. Er begann damit, kleine Briefe auf Zettel zu schreiben, in denen er seinen Wunsch beschrieb, und sie Leuten zuzustecken, von denen er das Gefühl hatte, es ginge ihnen vielleicht ähnlich wie ihm.

So ergaben sich allmählich ein paar Gespräche, wenn er, an seinen gewohnten Plätzen auf einer Bank sitzend, einmal angesprochen wurde oder selbst wagte, eine Bemerkung über das Wetter zu machen, die an einen zufälligen Banknachbarn gerichtet war. Manchmal irrte er sich auch, und ein Mensch entfernte sich schnell, sobald er auf seine Schattenlosigkeit aufmerksam wurde. Aber er fuhr nun fort, seinen Blick zu heben und nicht mehr nur nach unten auf die Schatten zu starren, sondern genauer hinzusehen. In dieser Art lebte er lange Zeit und bedachte, was er sah und erfuhr, und lernte viel dabei.

Da gab es Menschen ohne Schatten wie ihn, nicht sehr viele, die ziemlich verloren umherirrten in der Welt der Menschen, in der fast alle einen Schatten besaßen und sich auch einiges darauf zugute taten. Sie hielten ein wenig Abstand, so wie er auch, aber sie spendeten gern, wenn sie mit dem Empfänger ihrer Wohltaten nicht persönlich zu tun haben mussten. Mit ihnen war recht gut auszukommen.

Dann gab es da aber auch noch, und das ging ihm irgendwann ganz neu auf, Schatten ohne Menschen – Gestalten ohne greifbare Substanz, nur aus einem übergroßem Schatten bestehend, der von einem tiefstehenden Licht geworfen wurde. Vor ihnen musste man sich in Acht nehmen, sie konnten den Anblick Schattenloser nicht ertragen.

So lernte er, in verschwiegener Gemeinsamkeit mit Seinesgleichen umherzugehen, sich an kleinen Zeichen gegenseitig zu erkennen und sich mit diesen Zeichen zu verständigen.

Es war ein gutes Leben.

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 Betreff des Beitrags: Re: Schattenlos
BeitragVerfasst: Do 12. Jan 2012, 14:36 
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 Betreff des Beitrags: Re: Schattenlos
BeitragVerfasst: Fr 13. Jan 2012, 18:52 
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