<b>Ein Haus am Meer</b>
Ein Haus am Meer, ein kleines Schloss mit Mauern aus graubraunen Natursteinen. Wuchtige Mauern, wie eine trutzige Burg auf einer Felsennase. Ein großer Turm mit Zinnen als Ausblick, und Türmchen mit spitzen Hüten wie sie die Frauen im Mittelalter getragen haben. Statt Schleier eine Fahne. Blicke aus Fenstern mit weißen Rahmen und weißen Läden. Blicke aufs Land, auf dürre Wiesen mit wildem Fenchel und Disteln, auf struppige Hecken und windgedrückte Bäume. Blicke entlang der Küste, über Steine, Felsen, Klippen und Strände. Blicke aufs Meer, das nicht enden will bis zum Horizont und weiter, das täglich, stündlich, von Minute zu Minute sein Aussehen ändert, freundlich blau gekräuselt, dann wieder graugrün und rauh mit weißen Häubchen.
Ein kleines Schloss auf einer Felsennase, die ins Meer ragt. Entfernung bis zur Straße, auf der im Sommer die Touristen in Scharen vorbeiziehen, im Auto, auf dem Fahrrad oder zu Fuß mit Rucksack. Menschen, die anhalten, stehen bleiben, den Fotoapparat heben, ein Bild machen und weiterziehen. Alles auf Abstand, nur nicht zu nahe kommen, nicht zu nahe kommen lassen. Ein großes Haus mit vielen Zimmern. Im Sommer ein Ort der Ruhe, des Rückzugs. Rückzug vom Lärm des Alltags, vom Stress, manchmal auch von den Menschen. Zeit zum Nachdenken, Zeit in sich hinein zu hören, Zeit auf die Natur zu hören. Das Kreischen und Lachen der Möwen, das Rauschen und Rascheln des Meeres, das Knirschen von Kies und Sand unter den Füßen, wenn man am Strand spazieren geht.
Und im Winter? Wenn das Meer mit voller Wucht gegen die Felsen schlägt, wenn die Wellen brechen und die Gischt spritzt bis ans oberste Fenster, wenn Salzringe zurückbleiben, nachdem das Wasser vom stetigen Wind getrocknet wurde? Was wird im Winter, wenn die Touristen fort sind, wenn Nebel und Regen den Spaziergang am Strand zur ungemütlichen Pflicht machen, wenn der Wind um die Zinnen des großen Turms heult? Was dann? Einsamkeit? Eher Geborgenheit. Draußen die Natur, die vergeblich gegen die Mauern anrennt, drinnen ein gemütlich prasselndes Feuer im offenen Kamin. Zeit für Bücher, Zeit für Menschen. Treffen mit Freunden, ein ausgiebiges Abendessen und lange Gespräche mit einem guten Glas Wein in der Hand.
Ein Traum, den ich schon als Kind, als Jugendliche träumte und der mir auch heute noch gefällt. Ein Traum, angeregt durch Jugendbücher, Abenteuergeschichten, Romane. Das Schloss am Meer. Ein schöner Traum, den ich niemals verlieren möchte. Und die Wirklichkeit? Ein Haus mit Garten, Nachbarn, die auch Freunde sind, Treffen zu Essen und Gesprächen und dem Glas Wein, auch ohne großen offenen Kamin. Zufriedenheit. My home, my castle, mon chateau.
© U.L., August 2005
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