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 Betreff des Beitrags: John Williams, "Stoner"
BeitragVerfasst: Sa 10. Mai 2014, 18:39 
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Ja, alles stimmt, was ich über dieses Buch im Vorfeld gehört und gelesen hatte. Es handelt von alldem, was gesagt wurde, und es ist sehr schön geschrieben, hat wunderbar poetische Passagen, aus diesen Gründen allein schon war es eine Freude, es zu lesen.

Mir sind allerdings während der Lektüre ein paar Dinge aufgefallen, die mir zu denken geben: mir blieben die Personen des Romans – die Eltern, Edith, Stoners Frau, Grace, seine Tochter, Katherine, die Geliebte, Freunde und Kollegen - merkwürdig blaß und eindimensional, sie wurden gleichsam mit ein paar Charakterisierungen versehen, die wie Behauptungen wirkten, und das war es dann. Sie erscheinen alle ausschließlich in der Perspektive des Autors, gewinnen kein eigenes Leben. Das einzige Leben, das plastisch und lebendig zum Ausdruck kommt, ist das des Protagonisten William Stoner, und so kann es ja auch angehen in einem Roman, dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden außer möglicherweise persönliche Vorliebe, die Tatsache, daß ich sonst Autoren besonders mag, wenn sie in der Lage sind, in ihrem Roman viele verschiedene Personen zu einem eigenen Leben zu erwecken und unterschiedliche Perspektiven zu gestalten.

In diesem Fall wurde mir der mögliche Grund für meinen Eindruck erst klar, nachdem ich das Buch zuende gelesen hatte. Seine Perspektive und sein Credo am Schluß fallen in diesem Buch zusammen, bedingen sich gegenseitig.

Stoner erlebt die Menschen um ihn herum und lebt mit ihnen auf eine besondere Weise. Er liebt (und haßt) sie auf eine Art, aber sie sind im tiefsten Grunde seines Wesens zweitrangig. Denn den ersten Rang nehmen seine Liebe zur Literatur ein und die Liebe zu seiner Tätigkeit als Lehrer. Es ist geradezu so, daß die Menschen in seinem Leben nicht wirklich zählen, daß sie aus seinem wahren Leben ausgeschlossen sind, wenn sie nicht unmittelbar mit seiner Leidenschaft für die Sache verbunden sind.

Dies hat drastische Folgen für die Betroffenen, seine Frau wehrt sich mittels jahrzehntelanger psychologischer Kriegführung, seine Tochter verzweifelt in aller Stille, seine Geliebte zieht sich konsequent zurück. Stoner kämpft um keine von ihnen, er läßt sie sein und er läßt sie aus seinem Leben fallen. Kämpfen tut er nur, wenn es sich um seine Leidenschaft zur Literatur und zum Lehren handelt, sie allein sind sein Leben und ihm den Einsatz seines Lebens wert.

Dies ist umso erstaunlicher, als er sich Edith als Frau erwählte, mit seiner Tochter in einem geheimen, sehr liebevollen Einverständnis lebte, bis die Mutter sie ihm aus Eifersucht entzog, und mit seiner Geliebten Katherine in einer Art geistig-seelischen Symbiose lebte, bis gesellschaftliche Konventionen sich geltend machten und er sie einfach fortziehen ließ, um seine geliebte Tätigkeit weiterhin ausüben zu können.

Ein einsames Leben ist das. Aber worauf es wirklich ankommt, sagt das Credo, ist allein die Liebe zur Sache. Sie ist es, die letztenendes ein Leben trägt und es lebenswert macht. Allein in der Liebe zur Sache findet der Mensch Frieden. Das Zusammenleben mit anderen Menschen dagegen ist Krieg, wenn sie keine Liebe zu einer Sache besitzen, die sie erfüllt. Menschen, denen die Liebe zur Sache fehlt, können andere, die sie besitzen, nicht in Frieden lassen. Sie sind eifersüchtig auf die Sache, die ihnen, wie sie vermuten, die Liebe des anderen entzieht, auf die sie einen Anspruch haben. Sie fühlen sich dadurch in ihrer eigenen Existenz fundamental in Frage gestellt, ja, geradezu vernichtet, wie im Fall der Tochter.

Und wer weiß, vielleicht ist am Ende so. Es ist dies jedenfalls genau der moralische Konflikt, der auch Thomas Manns Bild, das er von Goethes Persönlichkeit in seinem Buch „Lotte in Weimar“ entwirft, zugrunde liegt und ihn intensiv beschäftigt; vielleicht, weil dieser Konflikt auch mit ihm selbst etwas zu tun hat. Und sieht man dergleichen nicht oft genug auch im eigenen Leben in seiner näheren Umgebung? Daß einer dem anderen ein geliebtes Hobby, ein leidenschaftliches Interesse neidet?


Ich weiß nicht, ob ich mit diesen Gedanken Williams´ Buch gerecht werde. Es besitzt, wie ich am Anfang sagte, so viele Qualitäten, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehe, wodurch möglicherweise ein schiefer Eindruck entsteht. Mir liegt aber am Herzen darzulegen, was mich daran am meisten beschäftigt und, ich gebe es zu, beunruhigt. Jeder mag es auf seine Weise lesen. Es ist ein gutes Buch, es löst etwas aus.

_________________
bye, bye, my I


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 Betreff des Beitrags: Re: John Williams, "Stoner"
BeitragVerfasst: Mi 25. Jun 2014, 14:22 
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ich bin bei einem schwedischen forum mit dabei, wo sich gruppen bilden, die gemeinsam bücher lesen und sich darüber austauschen:
http://bokcirklar.se/
und da "stoner" gerade auf schwedisch erschienen ist, hat sich eine gruppe zu diesem buch gebildet, an der ich teilnehme. smiley_98:

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bye, bye, my I


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 Betreff des Beitrags: Re: John Williams, "Stoner"
BeitragVerfasst: Mi 25. Jun 2014, 15:01 
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