Der englische Gentleman des neunzehnten Jahrhunderts wußte noch, daß Eigentum verpflichtet, und kümmerte sich entsprechend um das Wohlergehen seines Besitzes an Häusern und Land und Menschen und fühlte sich verpflichtet, am Ort zu leben und zu wirtschaften. Jedenfalls habe ich das so als Idealbild den viktorianischen Romanen entnommen. Sein Nachfolger und Aufkäufer, der heutige Bankeryuppie aus der Londoner City, weiß davon nichts mehr. Er hält sich ländliche Herrensitze als Statussymbole und profitables Investment. Mit dem Besitz selbst und der Gegend, in dem er liegt, hat er nichts zu schaffen, die Häuser stehen oft jahrelang vollkommen unbewohnt. Dies ist die Ausgangssituation im heutigen ländlichen England, in diesem Fall einem Tal im Lake District, in dem Kavennas Roman spielt.
Wer sein Eigentum so sträflich vernachlässigt, darf sich nicht wundern, wenn die Ratten auf die Idee kommen, auf den Tischen zu tanzen.
Cassandra, deren Mann an einen Ort geschickt worden war, an dem er im Dienst für sein Land in die Luft gesprengt wurde, hegt einen Groll gegen die Mächtigen und ihre einträglichen Regeln, durch die sie die alteingesessene Bevölkerung von ihrem Land vertreiben und die Landschaften verarmen lassen. Sie hat flammendrotes Haar und lebt von ein paar eigenen Viechern und Gemüsebeeten auf dem verfallenden Familienbesitz, das sagt ja schon alles.
Als die Ich-Erzählerin auf eine Zeitungsanzeige hin zu ihr stößt, gerät sie nach und nach in eine den Hausbesetzern nachempfundene und von Cassandra geleitete politische Aktion, die verarmte Leute der Gegend die unbewohnten Luxusresidenzen besetzen läßt – etwas, was die Besitzer lange nicht einmal bemerken, weil sie sich nie blicken lassen und sich um nichts kümmern.
Als sie es merken, schlagen sie natürlich mit der ganzen Macht ihres Geldes und Einflusses zu, da kreisen plötzlich die Polizeihubschrauber über dem Ort und alle Talein- und ausgänge werden strategisch-militärisch besetzt. Der Showdown kann beginnen. Er verläuft in voraussagbaren Bahnen. Keine Chance gegen diese Art von Mächten, wenn sie sich in der freien Verfügung über ihr Eigentum bedroht sehen. Kein lustig-anarchistisches Buch also, sondern eine bittere Geschichte der Wut gegen herrschende Mächte, die sich mit größter Selbstverständlichkeit herausnehmen, über dich und dein Leben frei zu verfügen. Die einzige Freiheit, die dir im Kampf mit solcher Übermacht zu Gebote steht, ist am Ende, dir selbst anzutun, was andernfalls sie dir antut. Cassandra.
Kavenna ruft in mir die Erinnerung an alle die bitterbösen Geschichten von Fay Weldon zurück – beide erzählen in jenem leichten, satirischen Ton, der sich immer wieder als das einzige Mittel erweist, die Wahrheit zu sagen, so daß sie in Menschen eindringen kann, weil seine Abwehrmechanismen geschwächt sind. Glaube ich. Hierfür gibt es jedenfalls eine Tradition in der englischen Literatur. Ob sie jemals etwas bewirkt hat – wohl eher nicht.
Nun ja, so ist es nun einmal mit den Menschen. Nichts zu machen. Und so kann man sich an solchen Geschichten sogar erfreuen, weil sie immerhin von Auflehnung berichten; wenn auch von Anfang an zum Scheitern bestimmter Auflehnung.