Worpswede – es ist legendär. Selbst bin ich nie dort gewesen, aber in wie vielen Zusammenhängen ist nicht von dieser Künstlerkolonie die Rede gewesen: vorallem bei der Beschäftigung mit Paula Modersohn-Becker, ihren Bildern und ihrem Lebensschicksal, und natürlich bei der Beschäftigung mit Rainer Maria Rilke, für den der Aufenthalt in der Künstlerkolonie und die Ehe mit der Bildhauerin Clara Westhoff einen Lebensabschnitt bildeten.
Die Landschaft etwas nördlich von Bremen und südwestlich von Hamburg ist mir allerdings ganz gut bekannt, und Modicks schöne Beschreibungen finden ihre Resonanz in mir, obwohl die Landschaft sich stark verändert hat durch die heute übliche intensive Landwirtschaft, und die Verbrennung von Torf zu Heizungszwecken dürfte allein schon aus Umweltgründen untersagt sein, das Zeugs qualmt offenbar zum Erbarmen. Im neunzehnten Jahrhundert war dieser Landstrich hauptsächlich von armen Bauern und Landarbeitern bevölkert, die mühselig das Torf stachen und die Moore trockenlegten. Besonders aus Paula Modersohn-Beckers Bildern geht ja deutlich hervor, daß es sich nicht um ein Idyll gehandelt haben kann.
Ein Idyll allerdings hatte Heinrich Vogeler schaffen wollen, als er eine Bauernkate in Worpswede kaufte und mit einer Jugendstilfassade versah, die auf einigen seiner Bilder zu bewundern ist. Andere Künstler siedelten sich in der Nachbarschaft an, und so entstand die Künstlerkolonie Worpswede. Deren Zusammenleben und –wirken zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, das heißt an drei Tagen davon, sind Gegenstand des Buches, geschildert aus der (angenommenen) Sicht Heinrich Vogelers. Seine Reflektionen und Erinnerungen kreisen vorallem um sein großformatiges Bild „Konzert“, auf das der Titel des Buches sich bezieht, und das dankenswerterweise auf beiden Innenseiten des Buches abgebildet ist, so daß der Leser sich jederzeit bildlich vergewissern kann, wovon die Rede ist. Vogeler befand sich damals in einer existentiellen Krise, sein Künstlertum betreffend, das lukrativ war, aber nicht mehr seinen inneren Überzeugungen entsprach, weswegen er das Gemälde, das den Kern einer wichtigen Austellung in Oldenburg bilden sollte, ständig veränderte und zu keinem Abschluß kommen konnte. Vogeler zog später radikale Konsequenzen aus seinen Zweifeln, die allerdings nicht Gegenstand dieses Buches sind.
Hier geht es auch um das Zusammenleben und die verschiedenen Paar- und Dreierkonstellationen zwischen den Mitgleidern der Kolonie, vorallem Vogeler und Martha, Paula Becker, Clara Westhoff und Rilke, Otto Modersohn am Rande – man weiß ja, wie sich die magnetischen Felder schließlich ordneten. Hierzu hatte Vogeler offenbar recht dezidierte Meinungen (falls es sich nun nicht wenigstens teilweise um Modicks eigene Meinungen handelt, wofür ich ihn in starkem Verdacht habe) Zum Teil sind sie natürlich dem Zeitgeist um die Jahrhundertwende geschuldet, als es zum Beisspiel außergewöhnlich war, daß Frauen nicht nur als Musen oder Ehefrauen von Künstlern, sondern selbst als Künstlerinnen auftraten – und dafür ignoriert oder als „Malweiber“ verächtlich gemacht wurden.
Am Ende ein Gewebe, das sich in ständiger Veränderung befand und auf Dauer nicht Bestand haben konnte, ein lebendiger Organismus eben mit allen seinen Freuden und Nöten. Von daher ist dieses Buch sehr lesenswert. Und schon seit langem denken wir ja doch immer wieder neu an diese Menschen, von denen Kurt Vonnegut vielleicht gesagt hätte: They tried.