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 Betreff des Beitrags: Thomas Hettche: Pfaueninsel
BeitragVerfasst: Mo 12. Jan 2015, 19:05 
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Da habe ich also ein schönes Buch bekommen smiley_98: , das mich zunächst einmal auf dem falschen Fuß erwischte: „Du meine Güte“, dachte ich, „ da hast du nun zwölf Jahre lang im damaligen West-Berlin gelebt und weißt zwar dunkel, daß diese Insel etwas mit der Stadt zu tun hatte, aber nicht einmal, ob sie im Westen oder in der DDR gelegen hat.“

Also Google herbei, und siehe da, sie war immer ein Teil West-Berlins gewesen und lag sogar auf jener Seite, nahe Charlottenburg, wo ich jahrelang gewohnt hatte. Nun ja, ich muß gestehen, daß solche Ausflugsziele und historischen Stätten preussischer Dynastien damals nicht zu meinem Interessengebiet gehörten und daß ich in all den Jahren nicht in die Lage kam, die Pfaueninsel zu besuchen.

Noch auch gehörte Gartenbau zu meinen Interessen, aber solche Dinge können sich ändern. Ein schönes Buch darüber, und schon ...
Daß ich aber die Pfaueninsel selbst nicht besucht und gesehen habe, halte ich nach der Lektüre des neuen Buches nicht mehr unbedingt für einen Mangel. Beschrieben wird darin ja gerade, wie sie sich im Laufe eines Jahrhunderts, des neunzehnten, veränderte unter der Hand von Königen und Hofgärtnern mehrerer Generationen. Die sorgfältigen und zum Teil ganz wunderbaren Beschreibungen der Gebäude, der Pflanzen und der Tiere, die auf die Insel gebracht wurden, geben mir eine starke innere Vorstellung, die jene Veränderungen mitvollziehen kann. Der Autor versucht, diesen Veränderungen, welche auch unterschiedliche Auffassungen vom Leben repräsentieren sollen, nachzusinnen und macht daraus die Geschichte besonders eines Menschen, eines kleinwüchsigen Hoffräuleins, das sein ganzes Leben auf der Insel verbringt – bis auf einen späten Abstecher in das eigentliche Berliner Stadtgebiet hinein, das dann schon stark von der Industrialisierung geprägt ist. Marie Strakon erlebt im Laufe ihres langen Lebens Veränderungen auch in der Auffassung ihrer körperlichen Besonderheit, ihres zwergenhaften Wuchses, die von skurriler Zutat monarchischen (auch sexuellen) Vergnügens bis zur strengen Klassifizierung als abnormes Monster reichen; eben in dem Maße, wie die Welt exotische Eigenheiten der Normierung und Vermessung unterwirft und in normal und zulässig bis abweichend und verwerflich einteilt. Entsprechend hierzu verändert sich die Auffassung vom Garten und von den Pflanzen und Tieren, denen es ganz ebenso ergeht.

Hettches Reflektionen zu diesen Veränderungen geben uns einen Begriff davon, daß gewisse Tendenzen zeitweise bis auf absurde Spitzen getrieben wurden und auch heute noch immer nicht abgeschlossen sind, was für mich ganz gewiß einen Teil des Interesses an dem Buch ausmacht. Ein anderer Teil ist die wirklich anrührende Lebensgeschichte Maries, der es weder an Traurigkeit und Tragik, noch auch an Lebenslust fehlt. Sie hat geliebt (wenn auch unerwiedert) und sie hat ein Kind bekommen (das ihr dann genommen wurde, so als hätte sie kein Recht darauf). Aber sie hat auch symbiotische Momente erlebt mit den eingesperrten und zur Schau gestellten exotischen Tieren der Insel und mit Menschen, die ihre Ausgesetztheit in irgendeiner Weise teilten; sie lebte in Büchern und mit Buchgestalten, und manche davon lernte sie persönlich kennen, wie Peter Schlemihl, der seinen Schatten verloren hatte. Ihre Wirklichkeit war reich, und sie kannte keine Trennungen zwischen gelebten und geträumten Sphären. Und so gibt es ihr Grab in der äußeren Wirklichkeit immer noch, auch wenn sonst keine Spuren ihrer Existenz in irgendwelchen Akten auffindbar sind. Es macht nichts. Thomas Hettche hat sie gestaltet, so daß wir sie ganz in diesem Sinne als wirklichen Menschen erleben dürfen. Den höfischen Tanz schimmernder Pfauen in ihrer ganzen Schönheit.

_________________
bye, bye, my I


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 Betreff des Beitrags: Re: Thomas Hettche: Pfaueninsel
BeitragVerfasst: Di 13. Jan 2015, 15:17 
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Den höfischen Tanz schimmernder Pfauen in ihrer ganzen Schönheit.


Ja

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