Über die Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Folgen weiß ich nicht sehr viel. Als Kind habe ich eine für Kinder bearbeitete und gekürzte Fassung von „Onkel Toms Hütte“ gelesen, und natürlich ist einiges über das Thema im Laufe der Jahre durch weitere Bücher dazugekommen, wenn auch nicht als Hauptthema, sondern als eine Art fortlaufende Unterströmung, die es im amerikanischen Bewußtsein immer noch darstellt - Mark Twains „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“, Carson McCullers „The Heart is a lonely Hunter“, Fanny Flaggs „Fried Green Tomatoes“, Marilynne Robinsons Bücher fallen mir unmittelbar ein. Sicher waren es noch mehr, Geschichtsbücher nicht gerechnet. Über Filme und Fernsehserien kann ich nicht mitreden, davon habe ich nur gelegentlich gelesen, nichts gesehen. Aber trotz der Bücher kannte ich bislang seltsamerweise den Begriff „Underground Railroad“ nicht.
In den USA macht dieser Tage ein neuer Roman über die amerikanische Sklaverei (es gab ja und und gibt immer noch Sklaverei auch in vielen anderen Teilen der Welt) Furore, Colson Whiteheads „Underground Railroad“, und er fiel mir neulich in die Hände. Whitehead erzählt darin eine Geschichte, die die verschiedenen Aspekte der Sklaverei in Romanform noch einmal aufnimmt und neu darstellt. Ich glaube nicht, daß einer interessierten amerikanischen Öffentlichkeit rein von den Fakten her etwas direkt neu sein kann, denn es gibt eine ausgedehnte Literatur und Dokumentation darüber, aber ich kann mich irren. Den Unterschied machen vielleicht aktuelle Ereignisse der letzten Jahre, die zum Beispiel die Bewegung „Black lives matter“ hervorgerufen haben. Vielleicht ist die Bereitschaft gewachsen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn die Sklaverei wirkt ganz offenbar bis heute tief in alle Bereiche der amerikanischen Gesellschaft hinein. Vielleicht ist die Zeit wieder reif für einen von Millionen gelesenen Roman über die Sklaverei, wie es seinerzeit Harriet Beecher Stowes „Onkel Toms Hütte“ war. In der Beschreibung der Greuel, die mit der Sklaverei verbunden waren, ist Whiteheads Buch streckenweise eine schwer zu ertragende Lektüre, das möchte ich gleich dazusagen, aber wenn man verstehen will, was der abstrakte Begriff der Sklaverei wirklich bedeutet und was Menschen mit ihm und er mit Menschen anstellt, muß man sich dem schon aussetzen.
Wirklich neu war jedenfalls für mich die Schilderung der Fluchtwege der Sklaven und ihrer Helfer, die unter dem Begriff der „Underground Railroad“ bekannt waren. Tausende Sklaven konnten auf diese Weise in angrenzende freie Staaten fliehen, und viele zogen weiter nach Kanada. Es handelte sich nicht um eine wirkliche Eisenbahn. Die Eisenbahn ist nicht nur in Amerika, aber dort ganz besonders ein Sinnbild von beinahe mythischer Qualität. So viele Phasen der amerikanischen Nationwerdung sind mit ihr verbunden, die Erschließung des Westens, das Bild vom Pionier usw. Zu diesem Thema und überhaupt zur Erweiterung der Perspektive empfehle ich eine ausgezeichnete ausführliche Besprechung unter diesem Link:
https://gerryco23.wordpress.com/2017/03 ... the-rails/Whiteheads Buch ist sicher ein weiteres Kapitel in Martin Luther Kings „I have dream“, und es entläßt den Leser mit einer vorsichtigen, sehr vorsichtigen Hoffnung auf eine mögliche Zukunft.
Was „Onkel Toms Hütte“ betrifft, so habe ich in meiner Aldiko-App für Ebooks unter „Get books/Public Domain Books“ eine Gratisausgabe gefunden und werde nun endlich die Originalversion lesen und sehen, was die massive Wirkung dieses Buches ausmachte und noch ausmacht. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einmal den Wikipedia-Artikel über Harriet Beecher Stowe zu lesen, für sie war diese Geschichte gelebtes Leben:
https://en.wikipedia.org/wiki/Harriet_Beecher_Stowe