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 Betreff des Beitrags: Die Sonne des Todes
BeitragVerfasst: Mi 28. Jun 2006, 18:42 
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Die Sonne des Todes von Pandelis Prevelakis ( 1962)

Hier ein kleiner Auszug aus diesem Meisterwerk : 1/2

„Bleib hier. Geh nicht weg. Jeden Augenblick wird jener Unglückliche an unsere Tür klopfen, und ich sollte nicht allein sein.“ Meine Tante meinte einen bulgarischen Gefangenen, der jeden Mittwoch ins Dorf kam. Er war ein Krüppel, er konnte nicht arbeiten; so ließ man ihn an die Türen klopfen und sein Brot betteln.
„ Geh mach auf, da ist er schon!“
Ein ekelerregender Geruch drang mit ihm ins haus. Die Tante schob ihm einen Stuhl hin, nachdem sie ihm die Hand gegeben hatte. „ Komm nimm Platz armer Mann!“ Mit den Fingern zeigte sie auf ihre Lippen. Sie wollte ihm zu verstehen geben, wie viele Worte des Mitleids sie ihm zu sagen hätte, wenn sie seine Sprache spräche.
„ Christus, Christus „ sagte der Bulgare
„ Christus, Christus „ erwiderte die Tante. Unter dem Namen Seiner Gnaden waren die Völker der Menschen ein Volk, waren die feinde Freund zueinander.
„ Christus „
Sue schnitt auf dem Brett zwei große Scheiben vom Brotlaib, nahm einen zugedeckten Holzteller aus dem Bord und stellte beides vor dem fremden Sie gab ihm die Gabel in die Hand. Solange er aß, suchte die Tante mit den Augen, ob sie noch etwas im Hause hätte, was sie ihm zustecken könnte.
„ Unser haus ist arm, aber du wirst sehen, dass Christen darin wohnen…“ Etwas Ähnliches ging ihr im Kopf herum. Die Liebe und das leid liefen in ihrem herzen über. „ Ach mein Sohn, wenn du wüsstest, dass mein Kind in deiner Heimat begraben liegt! „ So sprach sie zu dem gefangenen, obwohl er sie nicht verstand. „ Ob du dann mein Brot noch essen würdest? Gut, dass wir nicht miteinander reden können. Christus genügt uns!“
„ Ich weiß es, du todgeprüpfte Mutter, ich weiß es. Und ich esse Dein Brot! „ sagte der Bulgare“ und wischte sich die Lippen ab. Für einen Augenblick verfinsterte sich der Blick meiner Tante. Was bedeutete diese Komödie? Der Fremde verstand unsere Sprache und verheimlichte es ? „ Zürne mir nicht, Mutter. Ich muss mich verstellen, ich muss so tun, als verstünde ich nicht die harten Worte, die man mir sagt. Denn wie würde ich sonst betteln können? Aber ich hatte es gelobt, mich zu erkennen zu geben, die mich ihren Sohn nennen würde. Kann man sich vor seiner Mutter verstellen?
Die Tante fiel ihm auf die Knie. Sie bückte sich und küsste seine Knie. Der Fremde vergoss Ströme von Tränen, er schluchzte lang gezogen wie ein Hund. Man meinte, er habe die Kraft nicht mehr, sich von seinem Platz zu rühren. ……….
„ Ach, gibt es in eurer Gegend solche Bestien?“
„ Bestien, Mutter, gibt es überall. Sie kommen voran : die unschuldigen werden niedergemetzelt. Bis eines Tages das göttliche Schwert über die Bestien fallen wird.
„ Der Allmächtige möge es über ihre Köpfe senden ! Will Er sich der unschuldigen nicht erbarmen, so erbarmen er sich wenigstens seiner Kirchen und Klöster, die verwaist bleiben werden, wenn die Unschuldigen zugrunde gehen.“
„ Sorge dich nicht! Sie sind ja in der Mehrzahl. Sollte eines Tages die Waage sich auf der Seite der Bestien neigen, dann geht die Welt zugrunde; auf einen Schlag. Doch keine Sorge! Die Erde – so sagen wir in meiner Heimat- ist ein Baum. Der Teufel müht sich das ganze Jahr lang, ihn zu fällen. Doch wenn er beinahe am Ende seiner Mühe ist und es nur noch eines Beilhiebes bedürfte, wird der Verdammte müde und setzt sich, um zu rasten. Dann gesundet der Baum sofort von seinen Wunden und streckt sich mit voller Kraft in die Höhe.“
„ Gott möge die Lippen versüßen, die zu trösten wissen!“ sagte die Tante und stand auf. „ Seine Gnade hat dich heute in unser Haus geschickt, damit du uns die Liebe lehrst.“
„ Die Liebe, gute Frau, bist du selbst. Deswegen sättigt dein Brot – sei es auch wenig wie das Messbrot- denjenigen, dem Du es gibst. Jedes Mal, wenn du zu unserem Zeltlager kamst, hat sich der Hunger auf dem Weg gemacht und flüchtete nach der anderen Seite.“
„ Siehst du, dass ich sündig in ? Es sind so viele Tage her, da ich nicht an euch dachte. Es ist, weil ich mich vor dem Dorf gefürchtet habe.“
Er war bestimmt früh gealtert; er hatte kein einziges graues Haar. Aber sein Körper war voll eitriger Wunden, bei jedem Schritt stöhnte er. Die Tante raffte schnell einige Sachen zusammen und warf sie in ein Tuch. Mein Blick erhaschte ein paar Zwiebäcke, ein paar trockene Mandeln und ein Stück Seife.
„ Nimm sie, mein Sohn . Und komm öfter zu uns! Warte nicht, bis Mittwoch ist.
Jetzt war der Fremde an der reihe, vor der Tante zu knien. Sie floh vor ihm, und er rutschte hinter ihr her. Man hörte seine knie auf dem Boden nicht, denn er hatte sie mit Lumpen umwickelt; sie waren sicher auch voll eitriger Wunden.

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