2. Teil Die Klage der Kommode
Von wegen Mitleid....Monate später. Ohne meine Zustimmung wurde ich in diese chaotische Familie aufgenommen und musste viel erdulden. Nie aber hätte ich gedacht, dass es mir einmal so schlecht gehen würde wie jetzt. Und das bei meiner Herkunft und dem Holz, aus dem ich geschnitzt bin... Um es kurz zu fassen: Zunächst einmal zog ich um in das Atelier einer 50 jährigen Hobbymalerin. Als ich davon erfuhr, freute ich mich, denn mein Aufenthalt auf dem verwahrlosten Flur war nun wirklich unter meinem Niveau. Im Nachhinein. Am meisten hat es mich gekränkt, dass ich Ablage für das Toilettenpapier war. Aber das ist schon lange her. Verglichen mit meiner jetzigen Lage waren es fast paradiesische Zustände, da ich immer noch in Kontakt mit höheren Lebewesen stand, die sich zwar manchmal merkwürdig benahmen, aber immerhin Mensch bleibt Mensch. Ich hoffte damals sehr, dass sich meine Lage nach dem Umzug verbessern würde. Mit Befriedigung nahm ich zur Kenntnis, dass mein edles Holz zum 1. Mal mit Möbelpolitur eingerieben wurde. Das tat mir so gut. Der Müll aus meinen Schubladen wurde herausgenommen, und ich war voller Freude mit Zeichnungen von berühmten Malern gefüllt. Auch ein van Gogh war dabei und ich fühlte mich sofort mit ihm verbunden, denn auch er wurde Zeit seines Lebens verkannt und erlangte erst später Berühmtheit nach seinem Tod. Auf einmal wurde ich mir meiner Unsterblichkeit bewusst, so wie man es manchmal erlebt, wenn man zerstreut und in Gedanken fast glücklich ist und etwas übermutig wird. Dem Menschen überlegen. Wenn nicht gerade ein Feuer ausbrach, würde ich sie alle überleben. Ein Ding mit Seele, aber leider abhängig vom Wohlwollen meiner Mitmenschen. Ich stand allein in der Ecke voller Erwartung sah ich die Malerin an der Staffelei sitzen. Ab und zu hörten wir klassische Musik und ich war fast zufrieden, wenn da nicht die schreckliche Einsamkeit gewesen wäre. Unten auf dem Flur war ich mitten im Chaos, unglücklich zwar des Öfteren, aber ich war nicht alleine. Im Atelier dagegen war tagelang kein Mensch. Es gab mich und keiner bemerkte es. Ich bin nicht eitel, aber ein wenig Beachtung hätte mir doch gut getan. Der Fußboden, auf dem ich stand wurde immer staubiger. Ich sah die Sonnenstrahlen auf meiner Holzoberfläche auf und ab gehen und wusste gar nicht mehr warum es mich gab. Dieses sollte sich sehr bald ändern. Waehrend ich noch in meinen Gedanken versunken war, öffnete sich plötzlich die Tür und die Malerin kam mit der Freundin, die mich damals weggegeben hatte. Wie ich mit Befremden registrierte hatten sie einen großen Käfig mit zwei Tieren dabei. Zunächst wunderte ich mich etwas, aber was hatte ich zu tun mit einem Hasen und einem Meerschweinchen? Niedere Lebewesen, denen ich keine Beachtung schenkte. Meine Situation veränderte sich sehr bald, denn die Tiere wurden herausgelassen und unglaublich, aber wahr. Die Viecher benutzten mich auf ihre ganz eigene Weise. Der neugierige Hase knabberte an meinen schönen Beinen, und, ich wage kaum es auszusprechen, das Schwein pisste mich an. Kaum vorstellbar, dass ich so etwas erleben und ertragen musste, aber wie hätte ich mich wehren können? Ich gebe zu. Für einen kurzen Moment hatte ich eine leichte Zuckung in meinem Bein, so, als wollte ich das Schwein wegtreten. Diesen Kontakt wollte ich nicht und ich hoffte, dass meine Mieterin meine Not erkannte und die beiden in die Tierhandlung zurückbringen würde. Aber es kam noch schlimmer. Als ich erfuhr, dass man einen Tisch brauchte für den Käfig der Tiere, die dann in eine kleine Kammer in die Küche umziehen sollten, freute ich mich zunächst. Wenn schon Tiere in einer Wohnung, dann nicht im Wohnzimmer. Ich teilte die Meinung der Malerin. Endlich wurde sie vernünftig. Sicher würde bald ein Tisch besorgt werden und ich hätte dann wieder meinen Seelenfrieden. Als mir dann die Schubladen herausgezogen wurden, dachte ich. Na endlich, es kümmert sich jemand um mich. Gut, nach all dem, was ich bisher erlebt habe, war ich schon etwas misstrauisch, aber was dann geschah, hätte ich nie für möglich gehalten. Welch eine Schmach. Ich wurde in die Abstellkammer getragen und kein Mensch wird dies glauben. Ich, eine Mahagonykammode von Wert, hergestellt aus edlem Holz wurde zum Tisch für das Schwein und dem Hasen. Der Käfig zerkratzte meine polierte Oberfläche. Die Tiere wurden eingesperrt, dann wurden wir uns selbst überlassen. Ich schämte mich so sehr, war innerlich sehr aufgeregt und gleichzeitig wie gelähmt. Zwischen meinen Beinen wurde ein Kasten mit Streu gestellt. Das schlimmste für mich war, dass keiner bemerkte welch einen Schock ich erlebte. Tag und Nacht das Getrampel der Tiere, unter mir der Gestank. Als Gebrauchsgegenstand benutzt, voller Streu, der jetzt manchmal auch in die offenen Schubladen fiel, auch auf ein Bild von van Gogh. Ich glaube, in dieser Lage wäre ich zu allem fähig gewesen. Nie mehr alleine zwar aber in was für einer Gesellschaft? Nachts das Gequieke des Schweins, wenn der Hase es bedrängte, unten die Fäkalien. Wie grausam das Leben sein konnte. Damals war ich unglücklich , weil ich als Ablage benutzt wurde. Aber man hatte sich noch Mühe gegeben mir das richtige Ambiente zu verschaffen. Je öfter ich über meine Lage nachdachte, desto unglücklicher wurde ich. Ich erinnerte mich plötzlich an ein frühes Verlassenheitsgefühl, das mich mit Angst erfüllte und mutlos machte. In meiner Verzweiflung bat ich den Autor darum, mit dieser Geschichte aufzuhören, da ich es nicht mehr ertragen konnte. Er aber versuchte mich zu trösten, und meinte, es sei nur deshalb so schwierig auszuhalten, weil es an eine frühe Verlassenheit erinnerte, die jetzt gedanklich verändert werden könnte. Wenn ich es nur wollte, würde es mir gelingen die Angst zu überwinden. Und ich sollte dies alles als eine Prüfung ansehen. Verdammte Geschichte! Ich stehe wirklich in der Kammer. Und was meinte er mit Prüfung? Leicht zu sagen, wenn man am Computer sitzt und schreibt. Aber ich will nicht ungerecht sein. Es gab Momente wo er die Geschichte beenden wollte. Wie es scheint, hat er es sich anders überlegt und versucht mich jetzt zu trösten mit psychologischem Geschwätz. Welche Möglichkeiten hatte ich? Meine reale Situation konnte ich alleine nicht verändern. Die Bedingungen, unter denen ich leben musste waren vorgegeben. Also blieb mir nichts anderes übrig als meine Gedanken zu verändern, um gegen die Gefühle der Verlassenheit anzureden. Ich sagte mir also unendlich oft immer wieder. Es ist doch nur eine Geschichte, an der ich wachsen kann. Es muss nicht immer so bleiben. Vielleicht wird sich in Zukunft etwas anderes ergeben. Der Hase will vielleicht Kontakt mit mir aufnehmen, wenn er an meinem Bein nagt. Das kleine Meerschweinchen kennt wahrscheinlich keine andere Art der Kontaktaufnahme. Wenn es mich anpisst, markiert es mich und ich werde ihm vertraut. Es fiel mir gar nicht leicht so zu denken und ich hatte oft schlimme Rückfälle, aber irgendwie gelang es mir im Laufe der Zeit dies selbstgestrickte Gedankenlügengewebe anzunehmen. Was hätte ich sonst auch tun sollen? Ich gewöhnte mich an die neue Situation und denke jetzt mitunter sogar. Wennn es mich nicht gäbe, wo sollte dann der Käfig stehen? Ich begann die Umstände anzunehmen. In dem Maße, wie ich meine Wahrnehmung anders interpretierte, änderten sich auch meine Gefühle. Eine in jeder Richtung folgenschwere Art des Denkens. Ganze Abteilungen könnte man mit dieser Gehirnwäsche lahmlegen.... Trotzdem., dem frühen Gefühl der Verlassenheit würde ich nie mehr so ausgeliefert sein und ich erkannte, dass ich, egal was geschieht, Kraft meiner Gedanken immer frei sein würde. Mittlerweile habe ich fast Freundschaft geschlossen mit meinen beiden gefangenen Hausgenossen. Wenn ich sie damals noch treten wollte, war es jetzt so, dass ich Angst um sie hatte. Was, wenn der Hase sich an einem Splitter von mir verschlucken würde? Und das Meerschweinchen ausrutschen wuerde. Es war nun einmal so. Die Tiere mussten knabbern und pinkeln. Das liegt in der Natur aller Lebewesen. Ich kann sie nicht zur Verantwortung ziehen. Die Malerin brauchte einen Tisch. Jeder hatte irgendeinen triftigen Grund für sein Verhalten. Alles hing voneinander ab. Meist verwirren und ermüden mich solche Gedankengänge immer, weil ich jetzt keinen Schuldigen mehr finde. Ich weiche dann aus und träume, während ich den Hasen knabbern und das Meerschweinchen quieken höre von meinem Leben in Indien, bevor ich ein Schrank wurde. Damals in meiner Heimat reichte meine Baumkrone weit in den Himmel hinein und meine Wurzeln lebten kraftvoll in der Erde. Gemeinsam leben wir alle drei vereint im Sommerlicht. Kraft meiner Gedanken ist es mir gelungen, alle Empfindungen umzukehren. Manchmal allerdings wundere ich mich darüber, dass ich so wenig Wut gefühlt habe. Das konnte doch nicht alles in der Scham versteckt sein. Aber vielleicht ist das bei manchen Hölzern so.....
Ich habe die Geschichte vor ca 20 Jahren geschrieben, habe angefangen zu korrigieren beim Durchlesen, es aber dann gelassen.
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