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Bewegungslos saß ich in der Abendsonne und dachte über ein Kapitel meiner Lektüre nach. Ein Tod war eingetreten. Vor mir im wildwüchsigen rankenden Unsterblichkeitskraut eine Hummel. Sie bewegte ihre Glieder, ihren Körper. Eine Blüte konnte ich in den kleinen grünen Blättern nirgendwo erkennen. Die Hummel streckte sich, zog die Beine durch ihr Mundwerkzeug und ich dachte an Zähneputzen. Das Schild am Zeh des Toten kreuzte meine Beobachtungen. Das Tier putzte sich und putzte sich. Oder hatte es ein anderes unter sich? Paaren Hummeln sich so? Das Hinterteil der Hummel – oder eines anderen Tieres – war dunkel, glänzend, als ob es nass wäre. Sie flog dadavon. Ich stand von meinem Stuhl auf und trat nähe an dies Kraut, das genießbar ist in Saucen oder trinkbar als Tee, aus den asiatischen Ländern kommt und für ein beinah ewiges Leben sorgen soll. Grüne Blätter, nichts Zurückgebliebenes. Auch nirgends die kleinste Blüte. Die Hummel hatte für mich merkwürdig ausgesehen, war aber offensichtlich nur zu einer ausführlichen Säuberung auf dem Blatt gelandet.
Meine Gedanken gingen zu den Bährufen der Erwachsenen, wenn zwei Hunde das taten, was mir als Kind verschlossen blieb. Irgend etwas Unanständiges. Eine Aufregung. Worum? Man zog mich weg. Als ich bei den befreundeten Nachbarn Kirschenpflücken und Apfelernten lernte, Leitern bestieg, später Kartoffeln mit aus der Erde holte, bin ich auch gern im Kuhstall gewesen. Die ein und ausfliegenden Schwalben, ihre Lehmnester hoch oben, die Kühe. Nur vor dem Bullen hatte ich Respekt. Ich fasste Mut und traute mich zu fragen, ob man mir das Melken zeigen würde. Vom Händereinigen, Einfetten mit der Melksalbe, Euter Abwischen, Einfetten, auf den Schemel setzen. Ich lernte Melken und war sehr stolz darauf, Untertertia in der Stadt, draußen der Kuhstall. Beinah ein Eimer voll Milch kam aus einer Kuch. Aus m e i n e r Kuh. Eine Kuh war trächtig und es war an der Zeit. So stand es auf der Stalltafel. Von den Eltern war mir untersagt worden, beim Kalben dabei zu sein. Ich zog einen Kittel der Bäuerin über und ein Kopftuch, damit ich nicht so nach Kuh und Mist röche (sagte mir die Bäuerin immer). Im Stall außer den Rindern drei Männer. Eine Kuh war trächtig und es war an der Zeit. So stand es auf der Stalltafel. Von den Eltern war mir untersagt worden, beim Kalben dabei zu sein. Der Bauer strich der Kuh über Kopf und Hals und sagte laut und beruhigend: Ruhig, Lies, ruig! Die anderen beobachteten den hocherhobenen Schwanz und die große Öffnung darunter, zu der ich in jener Zeit noch keinen Namen hatte. Seile in den Händen. Niemand beachtete mich und ich blieb an der Wand stehen. Das schreiende Blöken der Kuh. Die beruhigenden Männer. Lies, ruhig, alles ist gut. Die Männer traten an das Hinterteil heran, einer ging mit den Händen bis zum Unterarm in die Kuh hinein, der Strick ging mit. Ich sah beim Aufbäumen einen kleinen Huf. Die zwei Männer hängten sich jetzt an die Seilenden und zogen und zogen, ihre Gesichter rot, es schien kein Ende zu nehmen, dann glitt etwas nass auf den Strohboden. Dunkel, nass, glänzend. War das etwas Totes? Ich rührte mich nicht von der Wand. Die Männer packten Stroh mit beiden Händen und rieben das nasse Ding. Rieben und rieben. Das Ding bewegte sich ein wenig. Und mehr. Oben am Kopf der Kuh kopfte der Bauer den Hals und sagte wieder und wieder „brav, Lies, brav!“ und schob ihr etwas ins Maul. Zur Stärkung, sagte er. Hier fehlt ein Stück Erinnerung, aber dann stand das noch verschmierte Kälbchen wacklig auf seinen Beinen.
b. d. .
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