<b>Ansichten eines Gartenzwergs (2)</b>
Haben Sie schon mal bemerkt, wie viele Tiere in Ihrem Garten leben?
Entschuldigung, ich sollte mich zuerst einmal vorstellen. Ziegenbein, Wendelin Ziegenbein. Gartenzwerg. Sozusagen Gartenphilosoph. Ich habe Zeit zum Denken. Ich stehe in meinem Beet, gleich neben dem Wacholder und denke. Tag für Tag. In Sonne und Wind, Regen und Schnee. Da bekommt man den Kopf frei, das glaubt man nicht. Nicht dass Sie meinen, der ist dann leer. Klopfen Sie ruhig. Klingt nicht hohl, oder? Naja, ein bisschen schon. Das ist der Platz für die Gedanken, vermute ich. Ich schaue über meinen Garten. - Also nicht über meinen Garten, der gehört natürlich meinen Menschen. - Ich schaue über die Wiese zu den Blumenbeeten, den Staudenrabatten und der Gemüseecke. Und dann denkt es eben. So ganz von alleine. Von innen heraus. Kann also nicht hohl sein, wenn da immer Gedanken raus kommen. Ich sehe den Garten, sehe, wie Schmitts Katze auf der Fensterbank sitzt und sich die Pfote leckt. Und dann plötzlich denkt es. Was der Sinn eines Katzenlebens sei. Oder wofür Reinlichkeit gut ist. - Nebenbei, meine Menschen sollten mich mal von diesem grünlichen Belag befreien, der meine Rückseite ganz glitschig macht, wenn es regnet. Und die fette Wegschnecke ist vorgestern über meinen linken Arm geschleimt. Igitt. Aber ich schweife ab.
Nochmal die Frage: Haben Sie bemerkt, wie viele Tiere im Garten kreuchen und fleuchen? Ich meine nicht die einzelne Ameise und den Regenwurm, sondern die vielen verschiedenen Arten. Das Wort "Rasse" möchte ich lieber nicht verwenden, sie verstehen sicher. So ein Garten ist eine ganze Welt. Insekten, Würmer, Mäuse, Vögel, die Nachbarskatze (sie heißt übrigens Lilibeth und ist ein wenig arrogant). Jedes Fleckchen ist besiedelt. In der Hecke nisten die Amseln und die Mäuse haben ihre Verstecke hinter dem großen Holzstapel. Ameisen wühlen unter der Terrasse, die Regenwürmer lieben den Komposthaufen und die Libellenlarven überwintern im Gartenteich. Alles in allem eine friedliche Welt. Gut, die Amseln fressen immer wieder Regenwürmer und Käfer und die eine oder andere Maus fällt Lilibeth zum Opfer. Aber die Krähen kämen nie auf die Idee, die Elstern ausrotten zu wollen, nur weil sie sich das gleiche Revier teilen müssen. Und die Wühlmäuse und unser Maulwurf nutzen sogar manchmal die gleichen Gänge, auch wenn beide scharf auf die Engerlinge im Boden sind und damit ja Konkurrenten. Meistens ist genug für alle da. Genug Platz zum Wohnen. Genug Nahrung, um die Jungen großzuziehen. Genug Luft und Sonne, um sich des Lebens zu freuen. Und schon wieder denkt es: Freut sich ein Marienkäfer des Lebens? Kann sich eine Meise über ihre Nachbarin amüsieren? Sie wirken jedenfalls alle recht glücklich und zufrieden.
Meine Menschen sind da anders. Die Frau schaut in ein Blumenbeet, sieht die kleinen weißen Sterne des Springkrauts und kreischt los: "Friiiedhelm!" (Sie zieht das "i" immer so ganz lang, dass man glaubt die Sirene auf dem Feuerwehrhaus sei losgegangen.) "Friiiedhelm, hol sofort die Spritze!" Und dann kommt Friedhelm aus der Garage, die Gartenspritze umgehängt, und schlurft mit seinen dunkelgrünen Plastikgaloschen zu Irmtraud. Er zielt mit der Spritze auf die zarten Pflänzchen wie James Bond auf den Bösewicht Blofeld und vernebelt mit einer giftig riechenden Wolke alles, was die beiden "widerliches Unkraut" nennen. Währenddessen sticht sie auf der Wiese mit grimmigem Blick auf den Löwenzahn ein, aus dessen Blattrosetten sich die leuchtendgelben Blüten emporrecken, um Bienen und Käfer anzulocken. Er sprüht, sie rupft und zupft. Die beiden vernichten alles, was nicht in ihren Plan der Gartenwelt gehört. Schnecken werden mit dem Küchenmesser gemeuchelt, der Maulwurf in seinem Gang vergast und die Ameisen mit einem weißen Pulver umgebracht.
Toleranz - ein Fremdwort. Leben und leben lassen - eine Devise, die für meine Menschen einer Kapitulation vor der Natur gleichkommt. Sie wollen ihren Garten beherrschen. Ihr Wille geschehe, wie im Gemüsebeet so auch auf dem Rasen. Und wehe, jemand kommt ihnen dabei in die Quere.
Im Frühjahr sind nebenan neue Menschen in das kleine Fachwerkhaus gezogen. Weil sie so sehr mit Renovieren beschäftigt waren, haben sie den Garten erst einmal sich selber überlassen. Eine herrliche Wildnis. Das Gras wuchs und wuchs, bis sich Schmitts Katze darin verstecken konnte. Die Ackerwinde hat den alten Apfelbaum im Sommer mit ihren weißen Trichtern geschmückt. Und der Löwenzahn durfte endlich Pusteblume spielen. Können Sie sich da die Irmtraud vorstellen? Ein Windstoß und die kleinen Schirmchen segelten wie Fallschirmspringer in ihr frisch gehacktes Beet und landeten zwischen Rosen und Lavendel. Irmtraud war kurz vor einem Herzinfarkt, als sie bei den Nachbarn Sturm klingelte. Sie hat die arme Frau an der Tür heruntergeputzt, als hätte die höchstpersönlich ihre Lieblingshimbeeren geklaut. Ich schweife schon wieder ab. Wo waren wir?
Ach ja, Toleranz und Vielfalt. Man hört die Menschen regelmäßig davon reden. "Hast du im Frühling das Tulpenbeet von der Lehmann gesehen? Diese Vielfalt an Farben, sogar schwarze Tulpen hat sie." Und was ist, wenn zwischen der Tulpenvielfalt ein einsamer Krokus oder eine schüchterne Perlhyazinthe ihre Knospen aus der Erde streckt? Rausgerissen werden sie. "Weißt du, diese Taglilie verträgt Sonne und Schatten, Trockenheit und eine gewisse Nässe. Da ist sie überaus tolerant." Mit der Toleranz der Gärtnerin gegenüber Schnecken, Läusen und Wühlmäusen ist es allerdings nicht weit her.
Da denkt es dann auch gleich wieder in mir und aus mir heraus. Wenn die Menschen so mit Pflanzen und Tieren umgehen, wie gehen sie wohl miteinander um? Sind sie da toleranter? Lieben sie die Vielfalt der Farben, der Formen? Mein Horizont ist bedauerlicherweise recht eingeschränkt. Einerseits haben meine Menschen mir einen beschaulichen Platz ausgesucht zwischen Wacholder und Heidekraut. Doch der Weitblick wird stark beschnitten durch die Hainbuchenhecke gegenüber. Die Menschen, die ich zu Gesicht bekomme, sind bloß eine winzige Auswahl aus den Milliarden von Menschen, die unseren Erdball bevölkern. Bestimmt nicht repräsentativ. Aber schon bei dieser Auswahl schleicht sich der Verdacht in mein Hirn, dass Mensch mit Mensch umgeht wie mit Wühlmaus und Löwenzahn. Und wenn meine Menschen im Sommer auf der Terrasse sitzen, dringen aus dem Radio die Nachrichten aus aller Welt zu mir. Nachrichten von Streit und Mord, von Krieg und Katastophen. Es ist zu deprimierend, auf meinen Platz gebannt zu sein und nur zuhören und beobachten zu können. Der Mensch malträtiert die Erde, die Natur, Pflanzen, Tiere und seine Mitmenschen.
Und dann kann ich nicht umhin zu denken: Wie lange wird die Welt noch zusehen. Wie lange wird sie sich noch von den Menschen quälen lassen. Irgendwann wird sie sich schütteln wie ein Hund, den die Flöhe beißen, und wird sich des lästigen Ungeziefers entledigen. Doch da werde ich wohl schon lange zu Tonstaub zerbröselt sein.
© U.L., Dezember 2006
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