Ein höflicher Mensch
Ein sommerlicher Wolkenbruch spülte den Kerl in das Café am Liebig-Platz. Kaum hatte die Glocke am Eingang geklingelt, stand er schon mitten zwischen den Tischen und schüttelte sich wie ein nasser Pudel.
"'n Tag", grüßte er in die Runde und schlappte zur Kuchentheke. "Einen Malteser bitte."
Die Bedienung sah ihn konsterniert an, schließlich war es gerade drei Uhr durch und Malteser hätten sie sowieso nicht. Nur Likör und einen Cognac zum Kaffee.
"Na, dann eben einen Cognac."
Ob er sich ein Stück Torte aussuchen wolle, das bekäme er dann am Tisch serviert. Der Pudel verneinte, nahm den Cognacschwenker und schüttete die rotbraune Flüssigkeit mit einem Schwung hinunter.
"Und jetzt hätte ich gerne ein Kännchen Kaffee", meinte er. Seine Augen suchten einen freien Platz und blieben an meinem Tisch hängen.
Ich hatte ihn genauso beobachtet wie alle anderen Gäste des Cafés und zuckte zusammen, als sein fragender Blick mich traf. Er nahm das wohl als Zustimmung und kam herüber.
"Danke", sagte er, als er sich setzte und seine olivgrüne Leinentasche über die Stuhllehne hängte.
"Wofür?"
"Einfach danke. Ich bin ein höflicher Mensch."
Ich musste grinsen.
"Ich heiße Karl. Und du?"
"Dörte. Seit wann duzen wir uns?"
"Seit gerade."
Sein Grinsen war noch breiter als meins, die Zähne strahlten mich an. Der könnte Zahnpastawerbung machen, schoss es mir durch den Kopf.
"Sag mal, Dörte, wo gibt es hier ein ordentliches Hotel?"
Ich musterte ihn, um herauszufinden, was er unter ordentlich verstand. Seine Trecking-Kleidung und Sandalen waren nass, als wäre er durch einen Fluss gewatet. Aber der Stoff wirkte hochwertig und die Schuhe hatten ihn wohl schon viele Kilometer gut getragen. Ich wies auf seine Tasche.
"Hast du noch anderes Gepäck?"
"Schließfach am Bahnhof. Muss ich ja nicht alles durch den Regen schleppen."
Ich überlegte. In der eigenen Stadt kennt man die Hotels ja nicht unbedingt in und auswendig.
"Ich glaube, das kleine Hotel Hermanns ist in Ordnung. Einfach, sauber und gutes Frühstück. Oder - wenn du es luxuriöser willst - das Hotel Paulushof."
"Paulushof klingt gut. Ist das weit?"
Die Bedienung raschelte mit ihrer Schürze, als sie ein Kännchen Kaffee und eine Tasse absetzte.
"Milch und Zucker stehen auf dem Tisch", stellte sie überflüssigerweise fest und zu mir gewandt:
"Bekommen Sie noch etwas?"
"Einen Cappuccino, bitte."
Die Frau rauschte davon.
"Und?", fragte Karl.
"Was? Ach so, Paulushof. Nee, ist nur ein paar Straßen von hier."
Karl schenkte sich eine Tasse ein, gab einen Löffel Zucker hinein, rührte kurz um und nippte am brühheißen Kaffee.
"Zeigst du mir den Weg?"
Seine Augen bissen sich an meinen fest. Braungrün, lange Wimpern. Ich schluckte.
Die Bedienung brachte meinen Cappuccino. Der Löffel klirrte leise auf der Untertasse, als sie ihn mit Schwung auf die Tischplatte stellte. Ich nickte dankend, sah immer noch Karl an.
"Und?", fragte er nochmal und beugte sich vor.
Ich konnte sein After shave riechen. Frisch und grün, nicht der herb-würzige Duft, den ich erwartet hatte. Ich versuchte, möglichst unauffällig zu schnuppern.
"Paulushof", wiederholte ich. "Ja, kann ich dir zeigen."
Was hätte ich anderes antworten sollen.
Wir tranken aus, zahlten und gingen zur Tür. Der Regenschauer war in ein kräftiges Nieseln übergegangen. Karl sah mich an.
"Kein Problem, ich bin ja nicht aus Zucker."
Wollte ich ihm etwa imponieren? Was machte ich da gerade? Hatte meine Mutter mir nicht stets eingebläut, bloß nie mit fremden Männern zu gehen? Penibel hatte sie mir alle Schandtaten geschildert, denen ich zum Opfer fallen könnte. Ich stieß die Tür des Cafés auf.
"Holen wir zuerst dein Gepäck vom Bahnhof?"
"Ist vielleicht besser. Sonst glaubt der Rezeptionist noch, ich wäre irgendwo ausgebrochen."
Karl bremste seinen Schritt, damit ich ihm auf meinen Stöckelschuhen folgen konnte. Wir sprachen kaum ein Wort. Es war mir egal, dass Pfützenwasser an meine Nylons spritzte und dunkle Flecken hinterließ. Es war mir egal, dass meine Haare wie ein Wischmopp um meinen Kopf hingen. Mir wurde kühl in meiner feuchten Bluse, aber auch das war mir egal.
Wir gingen zum Bahnhof, holten eine riesige Reisetasche, gingen zurück durch die Stadt und bis zum Hotel.
"Danke", sagte Karl.
"Wofür?", fragte ich und grinste.
"Du weißt, ich bin ein höflicher Mensch."
Sein Händedruck war warm und fest. Er neigte sich vor und gab mir einen leichten Kuss auf die Wange.
"Und wenn du mal nach Bremen kommst, dann zeige ich dir gerne ein ordentliches Hotel."
Ich starrte noch lange, nachdem die Hoteltür sich geschlossen hatte, auf die Visitenkarte in meiner Hand. Und beschloss, dass Bremen sicher eine Reise wert sei.
© U.L., Juni 2008
(Ich habe mir aus dem Wörterbuch folgende Wörter herausgepickt: Händedruck, Malteser, penibel, riechen, Wolkenbruch. Und dann habe ich mich von ihnen inspirieren lassen.)
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