Der alte Mann saß auf der Bank und sprach zu einer Taube.
‚Bist du das, Emma‘, fragte er an die Taube gewandt, ‚Emma, bist du das‘?
Dies wiederholte sich immer wieder, während er die Taube fütterte.
Ich saß nur einige Meter von dem alten Mann entfernt auf einer Bank,
beobachte ihn, fragte mich, wer Emma sein könnte.
Schließlich ging ich hinüber und setzte mich neben ihn.
‚Entschuldigen sie bitte die Störung. Ich saß die letzten Minuten dort drüben auf der Bank
und beobachtete sie. Darf ich sie fragen, wer Emma ist? Vielleicht eine Brieftaube,
die ihnen verlorenging‘?
‚Aber nein doch! Emma ist meine Frau. Meine verstorbene Frau, um genauer zu sein‘.
‚Sie suchen ihre verstorbene Frau in einer Taube‘?
‚Ja…wissen sie, meine Frau und ich liebten diesen Park. Wir kamen täglich hierher
und fütterten die Enten dort drüben am Teich. Anschließend saßen wir hier auf unserer Bank
und fütterten die Tauben.
Nach einiger Zeit konnte Emma die Tauben unterscheiden. Wissen sie, alle Tauben haben
besondere Merkmale, sagte Emma. Und so benannte meine Frau die Tauben. Mich interessierte
es nicht sonderlich. Für mich waren Tauben Tauben. Ich fütterte sie…und gut.
Im letzten Jahr ging es dann mit Emma bergab. Bei unserem letzten Besuch hier im Park,
Emma saß übrigens genau dort wo sie jetzt sitzen, sagte sie, dass sie bald sterben werde.
Aber ich solle mich nicht zu sehr grämen, ihre Seele würde in einer der Tauben Platz finden.
Na ja…vor drei Monaten starb Emma. Und wissen sie…zu Hause ist Emma nicht. Dort ist nur Leere
und eine Stille, die von nichts erfüllt ist.
Also sitze ich nun schon seit ein paar Wochen hier und füttere die Tauben. Diese, dort drüben,
ist Gurrie, sie können sie an dem weißen Punkt auf dem rechten Flügel erkennen.
Ja, sie werden es nicht glauben, wir kennen uns nun alle persönlich. Ich sie, sie mich.
Seit gestern ist nun eine neue Taube unter ihnen. Gestern dachte ich noch, ein Gast,
der morgen nicht mehr da sein wird.
Aber sie war die erste. Und direkt so zutraulich. Ich denke, ich werde sie Emma nennen.
Vielleicht erinnert sie sich ja irgendwann an ihren Namen‘.
‚Das wird sie bestimmt‘, sagte ich, und verabschiedete mich.
Ich ging einige Meter, blieb stehen, und warf noch einmal einen Blick zurück. Der alte Mann
bemerkte es nicht, war vollkommen ins Gespräch vertieft.
‚Na Emma. Schön, dass du da bist. Ich dachte schon, ich würde dich nicht mehr wieder sehen.
Wenn du magst, komme ich dich jeden Tag besuchen. Und eines verspreche ich dir hier und jetzt:
Wenn ich sterbe, wird meine Seele Flügel tragen‘.
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
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