Ottis Forum

Lyrik, Prosa, Fotografie und Gedankengut.
Aktuelle Zeit: Fr 29. Mär 2024, 16:44

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: mal wieder ein Kurzkrimi
BeitragVerfasst: Do 14. Okt 2010, 21:28 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Do 7. Sep 2006, 07:58
Beiträge: 6818
Wohnort: Dorf bei Gummersbach

Hoher Tribut

"Anregend", dachte Kommissar Lehrbach, als er im Eingang zum Brennereikeller stehen blieb und tief atmete.
Ein säuerlicher Hauch von vergorenem Obst und Hefe lag in der Luft. Lehrbachs Augen gewöhnten sich langsam an das Halbdunkel. Er erkannte auf der rechten Seite die Maischebehälter, die wie übergroße Regentonnen vor der weiß getünchten Bruchsteinwand standen. Links reihten sich einfache Bänke und Holztische aneinander, auf blau karierten Tüchern Tabletts mit kleinen Gläsern.
"Schnapsprobe", schoss es Lehrbach durch den Kopf. "Wahrscheinlich ein leckeres Tröpfchen."
Aus dem Dämmern des Kellers drangen leise Stimmen. Am Ende der Bankreihe hockten zwei Männer im Licht der einzigen Deckenleuchte. Der jüngere redete auf den anderen ein, gestikulierte, wies zum Brennapparat und zu den grünen Maischetonnen.
Lehrbach grüßte, die Männer verstummten, sahen ihn unsicher an, dann streckte der jüngere die Hand aus.
"Guten Tag, ich bin Jochen Vogler, der Junior im Betrieb, und das ist mein Vater Heinrich."
Lehrbach schüttelte Hände, ließ sich auf der Bank nieder und musterte die Destille. Der kupferne Brennkessel glänzte matt, stand wie ein stiller Zeuge in der Ecke des Raumes und reckte den Hals in die Höhe. Über dünne Rohre war der Kühler angeschlossen, unter dem das Auffanggefäß für den Alkohol stand. Ein uraltes Prinzip, um Wasser und Alkohol zu trennen.
"Wie oft wiederholen sie den Brennvorgang?", wollte Lehrbach wissen.
"Bei diesem modernen Apparat können wir in einem Durchgang einen Dreifach-Brand erreichen", erklärte Heinrich Vogler stolz. "Ein sauberes Stöffchen aus guten Äpfeln von unseren Obstwiesen."
Lehrbach lächelte. "Vielleicht machen wir eine Probe, wenn das alles hier geklärt ist."
Er räusperte sich. "Lassen Sie uns zum Grund meines Besuchs kommen. Er heißt Manfred Stieglitz und ist Zollbeamter. Sie kennen ihn."
Die beiden Voglers nickten.
"Er ist zuständig, wenn wir einen Brand anmelden", sagte Jochen Vogler. "Hin und wieder kontrolliert er hier vor Ort, ob wir Art und Menge korrekt angegeben haben."
"Und das war auch vor drei Tagen so?", fragte Lehrbach.
"Ja." - "Nein." Vater und Sohn sahen sich an, der Sohn sprach zuerst.
"Ja, weil wir den Brand von 500 Litern Apfelmaische angemeldet haben. Nein, weil er nicht dabei war."
"Stieglitz war nicht beim Brand anwesend?" Kopfschütteln.
"Seltsam." Lehrbach kratzte sich hinter dem Ohr. "Laut seinem Terminkalender wollte er an diesem Tag zwei Brennereien besuchen, auch Ihre."
"Wer weiß, was ihm dazwischen gekommen ist", grummelte Heinrich Vogler.
"Das kann ich Ihnen sagen." Lehrbach legte beide Hände auf den Tisch und beugte sich vor. "Wir haben ihn aus dem Fluss gezogen. Er liegt jetzt in der Pathologie in einem Kühlfach, das genau so schön glänzt wie Ihr Brennkessel."
Lehrbach lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und wartete.
Jochen Vogler hielt es zuerst nicht mehr aus.
"Stieglitz ist tot? Ertrunken? Warum kommen Sie da zu uns?"
Lehrbach grinste böse.
"Weil in seinen Lungen kein Flusswasser war sondern Maische. Apfelmaische."
Pause.
"Und weil in der anderen Brennerei Williams-Birne angesetzt war."
Pause.
"Und weil ich jetzt wissen will, wer von Ihnen den Zollbeamten getötet hat."
Heinrich Vogler sah auf seine schwieligen Hände, sein Sohn schluckte.
"Es war bestimmt ein Unfall. Mein Vater bringt doch keinen Menschen um."
Der Alte sprang auf.
"Ich? Wieso ich? Du hast doch ..." Er brach ab.
Lehrbach sah irritiert von einem zum anderen.
"Langsam bitte. Herr Vogler, setzen Sie sich. Herr Vogler Junior, Sie erzählen."
Jochen Vogler schloss die Augen und seufzte.
"Stieglitz war vor drei Tagen hier, um den Brand zu überwachen. Und um uns zu erpressen. Keine Ahnung, wie er herausgefunden hat, dass wir über unser Brennrecht hinaus Schnaps destillieren. Die Ernte war so reich, wir dachten uns: nur für den Hausgebrauch, für gute Freunde, wem soll das schaden. Er wollte Geld, sonst hätten wir eine Anzeige bekommen und nicht mehr brennen dürfen. Seit vier Generationen ist die Brennerei in der Familie. Vier Generationen! Ich habe ihm gesagt, dass ich das Geld besorge.
Als ich zurückkam, war er fort. Dachte ich. Also machte ich weiter mit der Arbeit. Der große Schlauch hing in der Maische, die Pumpe war schon angeschlossen, ich schaltete sie ein, sie förderte einige Liter Maische in den Brennkessel, dann stoppte sie. Ich stieg auf das Podest hinter den Bottichen, um die Verstopfung zu beseitigen, und fand Stieglitz. Ich zog ihn heraus, er war tot. Nichts mehr zu machen."
Vogler Senior schüttelte ungläubig den Kopf.
"Du hast ihn nicht umgebracht? Warum dann der Zirkus mit dem Fortschaffen? Wenn es doch ein Unfall war."
"Weil ich dachte, dass du ..." Jochen Vogler schwieg.
Lehrbach fasste zusammen:
"Sie behaupten also, dass keiner von Ihnen dem Zollbeamten Stieglitz einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst und ihn dann in der Maischetonne ertränkt hat. Sie haben nur - nur, ha ! - die Leiche beseitigt."
Vater und Sohn nickten. Jochen Vogler zog plötzlich die Stirn kraus.
"Sagten Sie 'Schlag auf den Hinterkopf'?"
Jetzt nickte Lehrbach. "Der berühmte stumpfe Gegenstand."
Ein lautes Schluchzen hinter seinem Rücken ließ ihn herumfahren.
Das Mädchen mochte elf oder zwölf Jahre alt sein. Tränen liefen über ihre Wangen und sie flüsterte immer wieder:
"Ich wollte das doch nicht. Ich wollte das nicht."
Die Männer starrten sie an, bis Heinrich Vogler aufstand und seine Enkelin in die Arme nahm.
"Kind, was ist denn passiert?" Er drückte das zitternde Mädchen fest an sich. Lehrbach wartete eine Weile, dann fragte auch er sanft:
"Was ist passiert? Komm, setz dich."
Annika Vogler sackte auf die Bank neben Lehrbach. Ihr Schluchzen ließ nach, sie schniefte.
"Er hat meinen Papa bedroht. Er hat ihm gedroht, alles kaputt zu machen. Ich habe gehört, wie er das gesagt hat. Und ganz gemein gelacht hat er. Papa war ganz weiß im Gesicht, als er aus dem Keller lief. Ich bin dann hin zu dem Stieglitz. Der stand auf dem Podest und schaute grinsend in den Maischebottich. Ohne mich anzuschauen hat er was gemurmelt von 'bluten müssen'. Ich habe eine Flasche Obstler aus dem Regal genommen. Er sollte aufhören, so böse zu reden. Er sollte uns in Ruhe lassen. Dann ist er vornüber gekippt und ich bin weggelaufen."
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte still.
Lehrbach nahm sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und rief seine Kollegen an.

© U.L., Oktober 2010

_________________
Auf zu neuen Ufern
Homepage - täglichBLOG - PodCast


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: Do 14. Okt 2010, 22:24 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Mo 20. Aug 2007, 11:48
Beiträge: 9109
Wohnort: ehemaliges Fürstentum Lippe

smiley_52: smiley_52: smiley_52:

_________________
jedes nicht festgehaltene wort ist ein verlorenes wort - schreiben gegen die zeit, die noch bleibt ©mbpk


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: Fr 15. Okt 2010, 06:53 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Do 7. Sep 2006, 07:58
Beiträge: 6818
Wohnort: Dorf bei Gummersbach

dankeschön, Mai Britt

_________________
Auf zu neuen Ufern
Homepage - täglichBLOG - PodCast


Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 13 Gäste


Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de