Der Taschentuchbehälter
„Du musst mit der Nadel da durch und den Faden durchziehen!“ Zugegeben, ich hatte die Geduld langsam verloren. Er stellte sich wirklich ungeschickt an. „So?“, Richard schaute zu mir. „Jaja.“ Verkrampft bohrte er die Häkelnadel durch sein Maschenwerk. Jetzt hatte er es kapiert. „Dann den Faden um die Nadel schlingen und wieder da durch, und noch mal den Faden holen und noch mal durch.“, erklärte ich. „So?“ „Genau! Das ist ein Stäbchen.“, gab ich zu verstehen. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen! Richard das Häkeln beizubringen. Haben Jungen denn nicht anderes zu tun? Mit Autos oder im Sand spielen, wie sich das für Jungs gehörte? Die Hortlehrerin Frau Meier schaute von weitem belustigt zu. Sie sagte kein Wort. „Einen schönen Taschentuchbehälter hast du!“, sprach sie vorgestern zu mir. Schön war er, fast wie eine moderne Kette mit einem etwas zu großen Anhänger, in den man sein Taschentuch stecken konnte, wenn man keine Hosentasche hatte. „Hab ich selbst gemacht!“, log ich ohne rot zu werden. Ich hätte es sicherlich gekonnt. Häkeln kann ich, jedoch den Taschentuchbehälter hatte ich nicht gemacht. Diesen hatte meine Mutter gehäkelt. Jedoch, wenn man sonst nichts Besonderes besaß, keine Ausmalebücher aus dem Westen, kein Hanuta für die Schulpause, dafür benötigte man schon Beziehung und sowas konnte ich nicht aufweisen, zumindest nicht direkt, da griff man schon mal auf andres zurück, um Eindruck zu schinden. „Kannst du mir das zeigen, wie das geht?“ kam Richard fragend auf uns zu. „Bestimmt kann sie das!“, Frau Meier lächelte und gab mir meinen Taschentuchbehälter zurück, den ich mir wieder um den Hals hängte. „Logo!“, war meine Antwort. Aber so Logo war es ganz und gar nicht, denn ich selbst hatte so ein Behältnis noch nicht fabriziert. Klar häkeln konnte ich etwas. Topflappen und einfache Untersetzer, aber so ein Schmuckstück? Ich wusste, kneifen war nicht. Meine Lüge würde sofort auffliegen und dann könnte ich mich für den Rest meines Lebens nicht mehr in der Schule blicken lassen. Also gut, ein bisschen wusste ich was vom Häkeln und diese Kenntnisse müssen reichen, um zum Taschentuchbehälter zu gelangen. „Und jetzt?“ Richard schaute mich wiederum fragend an. Gute Frage. Ich schaute auf sein halbes Machwerk. Keine Ahnung wie jetzt, dachte ich. Meine Augen lugten auf meine Brust, wo mein Taschentuchbehälter in rot, gelb und blau leuchtend bammelte. Ich schaute so unauffällig wie möglich darauf, um heraus zu finden, wie meine Mutter das gemacht hatte. Aber ich konnte nichts erkennen. „Ich komme gleich wieder!“, sagte ich zu Richard flugs und rannte auf die Toilette. Dort nahm ich das Objekt genau unter die Lupe. „Ah, ja!“, entkam es mir nach einer Weile laut und ich erschrak fast über meine Worte. Erleichtert eilte ich zurück und zeigte Richard, wie er weiter verfahren sollte.
Am nächsten Tag kam Richard freudig nach der Schule in den Hort und präsentierte mir seine fertige Arbeit: „Schau!“ Ich schaute nicht schlecht. Was für ein kleines Meisterwerk hatte er da in der Hand. Frau Meier kam hinzu: „Oh das ist dir aber sehr gelungen, Richard!“, sprach sie lächelnd. „Das ist für meine Mutti zum Geburtstag!“, strahlte er. „Sie wird sich freuen!“, gab Frau Meier zur Antwort: „So sauber und fein hast du das gearbeitet!“ Und wirklich, ich konnte meinen Neid kaum verbergen, hatte ich es doch selbst nicht dazu gebracht, ihm war es wirklich sehr gelungen.
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