Die italienische Kommode
Als ich die Kommode das erste Mal sah, hatte ich schon Bedenken, aber eine Freundin hatte ihre Wohnung neu eingerichtet und keinen Platz mehr für das italienische Möbelstück und sie meinte, dass es gut zu uns passen würde. Als wir es gemeinsam in meinen Flur stellten kam mir der Gedanke, es könne vielleicht die Aufgabe übernehmen unseren schäbigen Flur etwas aufzuwerten. Zwischen dutzenden von Jacken, Hemden und Hosen, die wahllos übereinander an einer gusseisernen Garderobe hingen, einer Ablage, die unter ihrer Last schon leise stöhnte, begann ich mühevoll Ordnung zu schaffen. Mein Blick fiel auf das angestaubte Regal, wo Mützen, Schals und Handschuhe ihren Platz hatten, dann schaute ich nachdenklich auf die vornehme Kommode, kämpfte ein wenig mit meinen vorhandenen Skrupeln aber dachte dann: Sie gehört jetzt zu uns. Ich öffnete die reich verzierten Schubladen und füllte sie mit dem leicht angestaubten Kleinkram. Da wir keinen Platz für die Telefonbücher hatten, lehnte ich diese gegen ihre geschwungenen Beine. Es kann schon sein, dass der kleine Schrank ein wenig erstaunt darüber war. Es kam mir vor, als blicke er jetzt noch vornehmer, so, als sei ihm der Inhalt der Schubladen peinlich. Irgendwie unschuldig aber zugleich ignorant stand er auf seinen vier geschwungen Beinen und, so schien es mir, blickte irritiert an den Telefonbüchern vorbei auf den schmutzigen blauen Teppich herab. Oft nahmen wir uns vor, die Auslegware zu reinigen. Ständig kam etwas dazwischen. Der Zufall kam uns zu Hilfe. Wir erhielten drei Webteppiche aus dem Orient, die mit ihrem rot-grünen Muster Teile des ergrauten, ehemals blauen Teppichs bedeckten. Wäre der Flur leer geblieben, hätte es keine so großen Probleme mit dem ausländischen Möbelstück gegeben. Vor allem in der Dämmerung sah man die einzelnen Flecke nicht, so dass die kleine Kommode zwar immer noch ein wenig deplatziert, aber durch das umgebende Ambiente fast ein wenig nobel-antik wirkte. Leider habe ich einen Ehemann, der die sture Angewohnheit hat, einen großen Teil seiner Habe in Aldi und Tipptüten aufzubewahren. Malutensilien, Wäsche, Einkaufstüten und diverse andere Plastiktüten versammelten sich in träger Eintracht auf dem Flur.... Für meinen kleinen Schrank war dies sicher eine Provokation. Was konnte ich dagegen unternehmen? So durfte es nicht weitergehen. Die zweckentfremdete Kommode sollte den Flur aufwerten. Das Gegenteil war der Fall. Zwischen all den voll gestopften Tüten wirkte ihre Extravaganz anmaßend. Ich begann die Tüten wegzuräumen. Am nächsten Tag fand ich die doppelte Anzahl. Eines Abends, als ich die Wäsche zusammenlegte, lag doch tatsächlich ein Wäscheknäuel auf der Kommode, die jetzt auch noch als Ablage benutzt wurde. Obgleich unsere Waschmaschine Überstunden machte, gelang es ihr doch nie den täglichen Wäscheanfall zu bewältigen. Meine fast erwachsenen Kinder duschten mindestens einmal täglich, manchmal auch öfter. Ich vermute, sie übertrieben ein wenig mit der Körperpflege, weil sie ihrem Vater einen Gefallen erweisen wollten, denn dieser leidet unter einem Sauberkeitszwang, der zum Charakterzug erstarrt, sich im Laufe der Jahre mit Sammelwut und Unordnung vermischt hat. Ersichtlich für jeden. In einem festgefahrenen Haushalt hat das Durcheinander mehrere Gründe und so ein kleines Möbelstück kann sehr viel Unruhe stiften. Mir darf aber keiner den Vorwurf machen, ich hätte nicht alles versucht ihr das Einleben zu erleichtern. Manchmal kommt ein wenig Aggression hoch, und ich frage mich, wer sich anpassen soll, wir, die wir seit Jahren in diesem Chaos leben, damit auch einigermaßen klarkommen, oder dieser eingebildete kleine Scheißer aus Italien. Warum fühlte er sich als etwas besseres und weshalb war es unter seiner Würde mit Plastiktüten zu verkehren. Ich weiß es nicht und bin recht ratlos. Wir blicken sorgenvoll in die Zukunft. Die kleine Kommode ist fast nicht mehr zu sehen, nach halbjährlichem Aufenthalt bei uns auch etwas angestaubt. Der Garderobenständer stöhnt wieder, die gusseiserne Ablage hat sich von neuem gefüllt, man stolpert über eine Unzahl von Schuhen, gefüllte Plastiktüten verhindern, dass man das Möbelstück erkennen kann. Ich ziehe für mich folgendes Fazit. Ich habe einen Platz gefunden für unsere Winteraccessoires. Auf der Kommode liegt zurzeit das Vorratstoilettenpapier. Die Telefonbücher sind nicht optimal unterbracht wegen der krummen Beine, aber es geht. Meine kleine Kommode hat die Aufgabe der Aufwertung nicht erfüllt, aber sie ist aufgenommen in unsere Gemeinschaft. Sie gehört jetzt zu uns. Manchmal habe ich ein wenig Mitleid mit ihr....
Eine Geschichte, die ich vor ca 10 Jahren geschrieben habe.
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