Hatte Eva die Geschichte schon angekündigt, aber stelle sie jetzt für alle ins Forum. Es handelt von meiner Zeit als Dozentin 2005/6 an der Deutsch Jordanischen Universität in Amman. Habe etwas korrigiert, aber wenn man nach so langer Zeit wieder etwas liest, muss man einiges auch unfertiges einfach stehen lassen. Der Schluss gefällt mir immer noch nicht ganz, aber von mehreren Varianten, habe ich eine ausgewählt.
Im Huehnerstall
Es waren einmal fünf Hennen und zwei Hilfshennen die nach Arabien auswanderten, um dort die deutsche Sprache zu unterrichten. Warum so weit weg? Wäre es nicht besser gewesen in ein europäisches Land zu gehen? Natürlich. Aber es gab da einen sehr charmanten deutschen Oberhahn, der sie dazu überredete und ihnen eine gute Anstellung versprach. Da entschlossen sie sich dazu ihre Heimat zu verlassen. Die deutsche Regierung wollte im Nahen Osten einen neuen Hühnerstall aufbauen, und der ganzen Welt beweisen, dass deutsche und arabische Hühner in friedlicher Koexistenz miteinander leben können. Die arabischen Küken, die aus vornehmen und einflussreichen Familien stammten, sollten Sprache und Werte kennen lernen, um später in Deutschland zu studieren. Zu Anfang fanden sich alle im gleichen Stall ein, pickten ihr Futter, scharrten im Heu und waren kollegial zueinander. Wenn eine einen Wurm fand teilte sie ihn mit den anderen. Nur die Hilfshennen fielen auf, weil sie ihren Wurm alleine auffraßen, was schließlich dazu führte, dass auch die anderen Hennen keine Würmer mehr teilen wollten. Nun muss man, unabhängig vom Nachahmungstrieb sagen, dass sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten mussten. Es herrschte Fastenzeit. Von Sonnenaufgang bis Untergang durfte weder gegessen noch getrunken werden. Das waren unsere deutschen Hennen nicht gewohnt und da verkrochen sie sich schon mal in eine dunkle Ecke und verschlangen mit ein wenig Wasser diesen oder jenen Leckerbissen. Der deutsche Oberhahn meinte, man solle auf die religiösen Eigenarten des Landes nicht zu viel Rücksicht nehmen, da man in Deutschland zu jeder Zeit voll leistungsfähig sein müsse und es wäre besser, das arabische Federvieh würde sich gleich daran gewöhnen. Das verursachte bei den arabischen Hühnern und Hähnen großen Unmut und das Gegacker war groß, bis der arabische Oberhahn einen Beschluss der Regierung herausgab, dass während des Ramadans die Unterrichtszeiten verkürzt werden sollten. Eins zu Null für das Gastland, aber so etwas musste man hinnehmen, wenn man sich in eine fremde Kultur begab. Deshalb kam es auch nicht zu einem Hahnenkampf wie viele befürchteten, sondern der deutsche Hahn nahm diese Regelung hin, ohne dass es lange bekakelt wurde. Was in den Seelen der einzelnen Federtiere vorging kann man nur erahnen…. Es gab andere Probleme. Der Hühnerstall war immer noch nicht fertig, es war zugig, was für alle Hennen unerträglich ist, die Sitzstangen waren zu kurz, es gab keine ruhige Ecke zum Eier brüten und es war überhaupt nicht mehr die Rede davon, dass sie in ihrer freien Zeit zum Scharren und Sonnenbaden nach draußen gehen durften. Das waren keine idealen Arbeitsbedingungen und ich wundere mich, dass die Hennen dies alles aushielten. Aber wie so oft in schwierigen Zeiten hofften alle, dass es besser werden würde. Erste Unstimmigkeiten in der Hühnerschar gab es darüber, ob das Kikeriki und das Gagack auf Deutsch und Arabisch eingeführt werden sollte. Nun wird man sich als normaler Mensch - und auch ein Huhn denkt da nicht anders- fragen, warum das denn so ungeheuer wichtig ist. Aber eine der Leithennen, mit starrem Blick und stets vorwurfsvoller Miene, die Federn streng zu einem Dutt zusammengebunden meinte, man dürfe diese wichtigen Willkommensgrüße nur auf Deutsch einführen. Und überhaupt sollte während des gesamten Unterrichts kein einziges englisches Wort gesprochen werden. Damit waren drei Dozentenhühner nicht einverstanden, auch gefiel es ihnen nicht, dass sie nicht gefragt wurden. Am meisten ärgerten sie sich darüber, als sie eines schönen morgens in ihrem halbfertigen Stall ein Plakat mit den Hühner Leitlinien vorfanden, die den deutschen Hennen bei Strafe untersagte weder Englisch noch Arabisch zu sprechen, strenge Richtlinien für den Unterrichtsablauf festlegten und ihnen jegliches Mitspracherecht verweigerte. Unterstützt wurde das Leithuhn von einer stets lächelnden etwas mageren Henne mit großen grünen Augen, welche die Führung übernommen hatte und alles kontrollierte. Gemeinsam teilten sie den arabischen Küken mit, dass sie nur dann ein Diplom erhalten würden, wenn sie sich streng an die Richtlinien halten würden. Die drei Hennen waren nicht einverstanden, aber fügten sich erst einmal. Sie dachten, sie könnten die Küken alleine unterrichten, aber wurden eines Besseren belehrt. Die Leithenne hatte in Ägypten das Fliegen gelernt, worauf sie sehr stolz war. Unangekündigt flog sie in die verschiedenen Klassenräume, setzte sich auf eine Stange und blickte von oben mit kritischem Blick auf die armen Dozentenhühner herab, die sich abmühten mit den Küken, die natürlich auch nicht dumm waren und schnell herausfanden wer hier das Sagen hatte. Nach dem Unterricht scharten sie sich um die Flughenne, stellten viele Fragen und erzählten auch schon mal, dass ihnen einige Hennen nicht so gut gefielen, weil sie sich nicht an die Leitlinien halten würden und sie boten an Berichte über diese Hennen zu verfassen… Das grünäugige Huhn hatte ihre Kindheit in einer Batterie verbracht und verlangte von sich und anderen das Äußerste. Jeden Tag erschien sie mit einem leeren Korb im Hühnerstall und nahm den Hennen ihre Eier weg. Sie erinnerte sie an die Batteriehühner, denen es sehr viel schlechter ging und die sogar Eier mit zwei Dottern legen würden. Außerdem sagte sie ihnen, sie sollten sich mit dem Brüten beeilen, gemütlich mit den anderen herumglucken und gackern das müsse nicht sein. Es gäbe Hennen, die im Stehen ihr Ei herauspressten um dann sofort ein Neues zu produzieren. Der dauernde Leistungsdruck immer mehr und größere Eier zu produzieren erschöpfte die deutschen Hühner sehr. Am meisten kränkte es sie aber, dass man ihnen das Gackern verbot… Nach dem ersten Examen liefen einige Küken zum arabischen Oberhahn, der gerade auf seinem Misthaufen stand und krähte. Sie beschwerten sich über ihre schlechten Noten und meinten, dies läge an der Inkompetenz einiger Hühner, vor allem der Grauen, etwas Älteren die zwar immer ganz nett war, aber irgendwie, so fanden sie, in diesen Musterstall nicht hineinpasste. Voller Verzweiflung verbündeten sich drei Hennen und baten um ein Gespräch mit dem deutschen Oberhahn, der sich gerade dann, wenn wichtige Entscheidungen anstanden in Deutschland aufhielt. Als er zurückkam beschwerten sie sich darüber, dass sie stumm ein Ei nach dem anderen legen mussten, keine Zeit mehr für sich hatten, nichts mitbestimmen durften und sich nicht mehr wohl fühlten im deutsch-arabischen Hühnerstall. Dass die beiden Hilfshennen mehr zu sagen hätten, obwohl sie nicht einmal die Hühnerhochschule besucht hatten. Offensichtlich hatten sie aber etwas anderes studiert, denn wenn die Graue anfing die Leitlinien zu kritisieren, begann sofort eine der Hilfshennen mit ihrem „Tak, tak tak tak ,“ stellte sich schützend vor das Leithuhn und schenkte ihm sogar einen Wurm. Und ihre Freundin lief wie auf rohen Eiern, was bei der Leitung auch gut ankam. Wenn das Leithuhn und die Oberhenne gemeinsam auf der Stange saßen, schauten die Hilfshennen sehnsüchtig nach oben. Sie wussten, der Weg war lang und dunkel, aber immer von Erfolg gekrönt. Was die anderen drei Hennen bloß wollten. Sie waren sicher nur neidisch. Da die Wände in Arabien sehr große Ohren haben, wusste der Oberhahn natürlich schon von den Problemen, aber er meinte, man müsse es aushalten, weil man so gutes Futter bekam und es sei eben das genetische Schicksal der Hennen Eier zu legen. Er könne dies als Hahn natürlich nicht ganz nachvollziehen, aber es erinnerte ihn an eine Geschichte aus seinem Lateinseminar…..Und mit den Hilfshennen solle man sich doch arrangieren. Ihm als Hahn gefiel es wie sie um ihn herumschlichen. Aber, so fuhr er fort, ihm wäre zu Ohren gekommen, es gäbe unter den Hennen eine, die die Hühner Richtlinien nicht einhalten würde und er hätte auch schon mit dem arabischen Oberhahn gesprochen, dass sie es auf keinen Fall zulassen würden, dass die arabischen Küken und deren Eltern einen Anlass zur Beschwerde hätten, denn immerhin würde es diesen Stall ohne sie gar nicht geben.. Und da ginge es nicht nur um das Kikeriki sondern um Grundlegendes. Er schloss seinen Schnabel und entließ drei aufgebrachte Hühnerfrauen. Ich habe die graue Henne gefragt, warum sie sich nicht gewehrt hat, aber sie meinte, es hätte sie in der Situation zu sehr getroffen. Sie hätte keine Probleme damit die Belange anderer vertreten, aber wenn es um sie selbst ginge, könne sie nicht einmal ga sagen. Es wurde immer unerträglicher im Hühnerstall. Nach dem Gespräch wurden die drei wie bei einer Verurteilung abgeführt von der grünäugigen Henne, die jetzt nicht mehr krampfhaft lachte, sondern ihren krummen Schnabel aufriss, herum krakelte und sich einem hysterischen Anfall näherte. Sie drohte den dreien mit einem Tadel und der Vertreibung aus dem Stall, wenn sie sich nicht sofort an ihre Anweisungen halten würden und sie hätten kein Recht sich zu beschweren. Ihre Aufgabe wäre es viele große Eier zu legen und den Küken etwas beizubringen. Als die graue Henne meinte, es wäre doch auch wichtig die arabische Mentalität zu berücksichtigen, wenn man schon in einem arabischen Land leben würde, verlor die Grünäugige völlig die Fassung. Sie plusterte sich auf und krähte mit lauter Stimme:“ Es ist mir scheißegal, dass du mit einem arabischen Hahn verheiratet bist. Deine Aufgabe ist es, Eier zu legen und den Küken das deutsche Kikeriki und Gagack beizubringen.“ Das war nicht gerade die optimale Haltung für einen interkulturellen Dialog, aber keiner nahm Anstoß daran. Der feige Oberhahn versuchte noch einige seiner Zitate loszuwerden, aber das Hennengegacker überstimmte ihn und er verließ den Stall. Als Hahn im Korb wollte er keinen Streit mit seinen leitenden Hennen. Das sollten sie unter sich ausmachen. Er sehnte sich nach seinem vertrauten Misthaufen. Das waren schon seltsame Hähne. Am liebsten standen sie auf ihren Misthaufen und krähten. Wurde es gar zu stürmisch packte der deutsche seine Koffer, während der arabische sich den Launen des Windes anpasste. Beide, der deutsche Reisehahn, als auch der arabische Wetterhahn hatten ein freundliches Wesen, aber kümmerten sich nicht um die Probleme im Hühnerstall. Und jetzt passierte etwas Merkwürdiges. Wenn die Hennen früher ihre Eier bewachten, auch manchmal versteckten, so war es jetzt so, dass einige gar nicht mehr schliefen, sogar nachts Eier fabrizierten und es nicht erwarten konnten sie zu signieren und freiwillig abzugeben. Auch liefen sie anders. Anfangs hatten sie den Kopf kämpferisch nach oben gestreckt, aber nun krochen sie über den Boden, das Ei nachlässig vor sich herschiebend wie Fußballspieler, die Zeit gewinnen wollen. Die Augen auf den Boden gerichtet, aber wenn man genau hinsah bemerkte man, dass die schlauen Viecher ab und zu eins öffneten und nach oben schielten wie Bettler, die scheinbar achtlos Münzen entgegennehmen, aber doch genau ihren Wert kennen. Und die strenge Henne war glücklich. Zwar meinte sie manchmal, einige Eier wären immer noch zu klein und zu dunkel, obwohl sie doch wissen musste, dass braune Hennen mit roten Ohrläppchen nur braune Eier legen können und sie mäkelte etwas herum, wie es so ihre Art war, aber als die Hennen immer wieder beteuerten, dass sie nur auf Deutsch gackern würden, wurde der mürrischen Leithenne ganz warm ums Herz und manchmal wurde sie, die immer Strenge sentimental und konnte auch schon mal in Tränen ausbrechen. Das wurde natürlich sofort registriert und eine Junge, ehemals Rebellierende schlich besorgt um sie herum und fragte: “Warum weinst du denn?“ Und unter Tränen gestand diese dann, wie glücklich sie sei, ein verlorenes Huhn in ihren Bund einzuführen und legte ihre beiden Flügel schützend um sie. Da war die andere Henne auch zufrieden und ausgeschlossen aus dem Bund waren nur noch zwei. Klar, dass sie nicht ins Hühnereierproduktionskomitee gewählt wurden, schon gar nicht die Graue, von der man erfuhr, dass sie keine Eier mehr abgab und sogar im Verdacht stand sie aufzupicken. Das sprach sich schnell herum im Hühnerstall und gefiel auch den beiden anderen nicht. Also die Eier sollte man schon abgeben und den Kopf etwas senken, wenn man mit den Oberhennen sprach. Während die deutschen Hühner ihren Unwillen zeigten, verhielten sich die arabischen anders. Sie lachten einen an und gackerten hinter dem Rücken. Das war wohl kulturell bedingt. Gästen gegenüber musste man höflich und freundlich sein. Selbst der arabische Wendehahn grüßte freundlich, oft mit einem verlegenen Lächeln, fragte sogar respektvoll: „Wie geht es Ihnen denn, Frau Henne?“ so dass man denken konnte die Welt sei in Ordnung. War das ein trostloses Leben! Früh am Morgen sah man die erschöpften Hennen wie sie über den Boden krochen und ihre Eier vor sich hinrollten. Man behauptet ja immer Hühner sind dumm, aber dieser Einfallsreichtum belehrte einen eines Besseren. Ich habe nie in meinem Leben schönere Arrangements gesehen, selbst nicht zu Ostern. Ich weiß gar nicht woher sie die Zeit nahmen. Manche Eier waren bunt bemalt, einige sogar in einer schönen Packung mit Geschenkpapier und Schleife. Ich kann schon verstehen, dass die alte Henne sich nicht mehr wohl fühlte, zum einen, weil sie nicht mehr so viel Eier produzieren konnte, und, ein Rest von Kampfesmut war noch in ihr, auch nicht wollte. Sie isolierte sich immer mehr und auch die anfangs Aufständischen mieden sie. Sie wurde jetzt manchmal gepiekt von ihren Kolleginnen und die Hilfshennen verhielten sich völlig respektlos und pokerten schon mit der Leitung um ihren Posten. Alles hatte sich verändert. Bei der letzten Sitzung, an der sie teilnahm bemerkte sie, dass ihre ehemaligen Kolleginnen schon genauso gackerten wie ihre Aufseher. Sie trugen jetzt Halsbänder mit Namenschildern wie kleine Hunde und an der rechten Zehe einen Ring mit der deutsch-arabischen Fahne. Die alte Henne gab sich Tagträumereien hin und stellte sich vor ein riesiges Ei zu fabrizieren, denn, obwohl es ihr nicht mehr gefiel fühlte sie doch eine tiefe Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Ihr Verhalten wird immer merkwürdiger. Mit starrer Miene sitzt sie in der dunklen Ecke ganz weit oben auf ihren Eiern, kramt ständig in der Vergangenheit herum und hört gar nicht auf damit mir immer wieder zu erzählen, sie hätte schon als kleines Küken die Hackordnung nicht verstanden, sich nie gewehrt und niemals dazugehört. Seit Tagen beobachte ich sie und bemerke mit Bestürzung, dass ihre Eier sie immer näher an den Rand des Nestes schieben, und wenn sie ihren Kopf etwas mehr vornüberbeugen würde, um auf das noch fliegende Leithuhn, was gerade zur Landung ansetzt, herabzublicken könnte sie das Gleichgewicht verlieren und mit ihren vielen Eiern in die Tiefe stürzen.. Der Zeitpunkt wäre günstig. Es gäbe keine Zeugen. Die Hähne auf dem Misthaufen, die Hennen beim Unterrichten. Das Leithuhn ist sehr durstig, hört ein dumpfes Grollen und Klicken im sonst ruhigem Hühnerstall, blickt kurz nach oben und beugt sich dann weit über die Tränke. Ein Schatten fällt auf das Wasser. Das Leithuhn stutzt ein wenig, doch trinkt dann hastig weiter….
2005 geschrieben. Den Schluss immer wieder korrigiert.
Zuletzt geändert von Beate am Mo 18. Jul 2016, 07:00, insgesamt 1-mal geändert.
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