Ich weiß nicht warum, oder weswegen ich heute schreiben möchte und aus welchem Grund dir, wo ich dich nicht kenne. Vielleicht ist es auch nur, da ich selbst gern Briefe bekomme und lese, sie seltener geworden sind, oder es mir im Moment etwas schwer fällt, mich kürzer zu fassen. Eigentlich gibt es auch nichts besonderes zu berichten, ausgenommen dass ich heute im Wald war, spätsommerliches Wetter dazu einlud und Pilze sich nach dem Regen der letzten Tage wie von selbst versprachen. Und wenn keine zu finden wären, so gab es vielleicht schon reifen Holunder. Es fand sich jedoch nur ein junges Wildschwein, dass ich erst für zögerliche Schritte im Unterholz, etwas später für ein Reh hielt, was alsdann unweit quer durch das Gebüsch schoss. Noch etwas benommen vom Schreck, schaute ich mich vorsichtig um. Viele Bäume waren im letzten Winter gefallen. Sie zeugten noch schweigend mit ihren Wurzelfingern, großstämmig, quer übereinander und umher liegend von Stürmen. Ich musste unwillkürlich an die Geschichte „Aufbruch“ von Marianne Bruns denken, in der die alten Eichen fliegen konnten. Womöglich hatten diese das Fliegen verlernt. Oder waren sie gar hier gelandet?
Aufbruch (Marianne Bruns)
Ein alter Eichenwald, Restbestand, schon gezeichnet, um gefällt zu werden. Entschloss sich an einem lichten Nachmittag auszuwandern. Ast in Ast geflochten, eine grüne Wucht aus Hunderten von Stämmen, begann er mit seinen Wurzelfüßen, das Erdreich aufzubrechen. Und zog und zerrte heraus, was sich ziehen ließ. Was riss, blieb. Und der Eichenwald wanderte stämmig stampfend, zügig voran, hügelab, hügelan. Da griff ihm der Abendwind unter sein Laub und hob ihn mit starken Schultern. Ich sah ihn durch den blassen Himmel dahinschleifen, rauschend im Gegenzug, grün mit schwarzen hängenden Elefantenbeinen, urzeitliches Käferwesen, ein Hundertausendzentnergewicht. So flog der Eichenwald dahin, hoch über mich ins Abendrot.
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