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 Betreff des Beitrags: Der Kampf Der Isobaren
BeitragVerfasst: So 21. Mär 2004, 12:18 

Der Kampf der Isobaren

Oder Ein Gartentisch namens ‚Titanic’

Gibt es etwas wohligeres, als warm und kuschelig im Bett zu liegen, während draußen die entfesselten Elemente toben?
Gewaltige Sturmböen lassen selbst unser stabil gebautes Haus erbeben. Regenschauer peitschen durch die Nacht. Wütend brüllt der Sturm und wirft sich wieder und wieder auf unser Heim, stemmt an den Ecken, springt aufs Dach schleudert mit Wucht Regen-Wolken an Wände und Fenster.
Das alte Haus ächzt und stöhnt und windet sich, fast glaube ich, das Gebälk könnte nachgeben. Ein winziger Spalt, der Orkan bohrt sich mit tausend Armen in die Lücke, reißt Dachpfanne für Dachpfanne heraus, die Sparren brechen, man wird die Feuerwehr rufen müssen, Sirenengeheul, Männer in schweren, regennassen Uniformen, ich bin im Nachthemd, sollte ich mich vielleicht wieder anziehen – nur für den Fall, dass... – aber nein, erschöpft gleitet der Wüterich für dieses Mal die Dachschräge entlang, holt Atem für einen erneuten Angriff.

Beruhigt kann ich meine Aufmerksamkeit wieder dem TV-Gerät gegenüber meinem Bett widmen. Erneut fegt eine Böe von Südwest heran, rempelt am Giebel, tritt gegen die Satelliten-Schüssel, mein Fernseher rauscht empört und pegelt sich zwischendurch wieder ein, während außerhalb meiner vier Wände dieser Kampfhund von einem Orkan aufheult und durch den Garten vom Apfelbaum bis zur Gartenlaube wirbelt.

In den vergangenen Tagen hatte ein Zephir die Hoffnung auf Frühling entfacht. Vorbei schien es mit dem kalten Nordostwind, Nieselregen und Glatteis am Morgen. Als hätte die Vogelwelt im Winter-Quartier nur auf die Passage mit dem Südwind gewartet – was ja genaugenommen stimmt – trafen in immer neuen Scharen Kraniche, Stare, Schnepfen, Kiebitze ein.
Bäume und Sträucher, die gestern noch wie tot und verdorrt im Schneegriesel dastanden, zeigen erstes zartes Grün, bekommen schwellende Knospen, die ahnen lassen, dass schon bald Myriaden von Insekten sich in bunte Blütentiefen bohren werden, um den dargebotenen Nektar aufzurüsseln, nebenbei die sexuellen Bedürfnisse der Flora befriedigen und auch noch – da ziemlich am Ende der Nahrungskette stehend – etlichen Fressfeinden das Überleben sichern werden.
Es roch stark nach Frühling, denn sämtliche Bauern der Umgebung hatten Gülle und Dung auf den umliegenden Feldern verteilt und untergepflügt, hatten gesät, Kartoffeln unter Folie gepflanzt. Und es schien fast so, als ob die Zahl der Traktoren nur von den vielen Motorradfahrern übertroffen würde, die ihr Gefährt über Winter eingemottet hatten und nun im allgemeinen Rausch der erwachenden Natur ihren lärmenden Beitrag leisteten.
Kurz gesagt: Es schien endlich Frühling zu werden.

Wenn man wie ich auf dem Lande lebt, bekommt man das Wettergeschehen sehr viel intensiver mit. Oft geht mein Blick zum Himmel empor, schätzt an der Form der Wolken die kommende Wetterlage ab, kein Hochhaus verstellt mir den Blick dorthinauf. Ich liebe es, am Morgen aufs Moor hinaus zu sehen, wo erste Sonnenstrahlen die treibenden Nebelschwaden zum Leuchten bringen.
Und ich habe es als Kind geliebt, bei Sturm am Fenster zu stehen, dort wo man den Hochwald sehen konnte, wie er sich dem Wind ergab, der durch seine Kronen rauschte, wie die Hand eines stürmischen Liebhabers, die durch das Haar seiner Geliebten fährt. Es war mir Chor und Orchester zugleich, eine unirdische Natur-Symphonie – fast eine Kakophonie - wie kaum ein menschlicher Komponist sie hätte erdenken können.

Und heute nacht braust es also wieder. Aus Tiefdruckgebieten werden Sturmtiefs, Orkane. Rosenkrieg der Wetterfronten. Die wilde Windsbraut hat jedoch kein Glück an den Mauern unserer Behausung und tobt sich im Garten aus. Am Morgen werde ich auf Schadenssuche lediglich ein Plastik-Spielzeug aus der Hecke ziehen, dass sich dort wie in Panik in den verwachsenen Zweigen festgekrallt hat, ein Gartenstuhl ist umgekippt und der Gartentisch, den ich in Vorfreude auf kommende Mahlzeiten unter freiem Himmel auf die Pflastersteine am Teich gestellt hatte, ist in denselben geweht worden. Emporgehoben von einem besonders heftigen Windstoß, der gleich einem Sumo-Ringer den Tisch von unten her attackieren, und meterweit ins Nass schleudern wird.

Der Tisch ist aus Plastik, mit Hohlräumen, eigentlich unsinkbar.
Und doch werden nur noch die Beine hilflos anklagend über die Wasser-Oberfläche ragen. Die Platte wird am Teichgrund aufliegen und erstaunte Fische werden rätseln, was die halb vom Schlamm verdeckten Zeichen bedeuten mögen. Könnten sie lesen, würden sie wohl das Label als TITANIC entziffern?

C griffel 3/2004


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Kampf Der Isobaren
BeitragVerfasst: So 21. Mär 2004, 20:17 
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Eine wunderschöne Naturgeschichte hast du da geschrieben. Fühlbar war der Sturm für einen Augenblick. Sehr gut <img src="http://mockinbird.bei.t-online.de/smilies/daumen.gif" border="0">

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Kampf Der Isobaren
BeitragVerfasst: So 21. Mär 2004, 20:21 
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Registriert: Di 26. Aug 2003, 08:55
Beiträge: 4916

gefällt mir auch richtig gut......... und ja, der Sturm war hör- und fühlbar.........

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