Ottis Forum

„Papa!“
„Ja, Sternchen!“
„Unsere Lehrerin hat gesagt, wir sollen unseren Eltern eine Frage stellen. Die Frage lautet: Was hast du, was andere Menschen nicht besitzen?“
„Hm…das ist eine gute Frage! Vielleicht weiß ich eine Antwort. Setz dich, ich erzähle dir eine Geschichte…
Vor langer, langer Zeit lebte im Orient ein Kalif. Er war unermesslich reich und besaß alles was sich ein Mensch erträumen kann. Doch tief in seinem Herz war er unzufrieden und einsam. Nichts konnte ihn glücklich stimmen, nichts zu Tränen rühren. Lachen war ihm so fremd wie Trauer. In seiner Not rief er nach seinem Wesir und fragte ihn um Rat.
„Höre, Wesir. Ich kann nichts empfinden. In mir ist alles kalt. Möchte lachen und weinen, doch fühle ich mich wie tot. Nichts kann meine Seele befriedigen. Sag, warum ist das so? Ich habe doch alles, was das Herz begehrt.“
Der Wesir des Kalifen dachte eine Weile nach. Ihm fiel keine Antwort auf die Frage des Kalifen ein, doch wusste er Rat.
„Hört, mein Herr. Ich kenne keine Antwort auf eure Frage, doch habe ich von einem weisen Mann gehört. Er soll in den Bergen leben, nichts besitzen, allein von dem leben, was die Natur ihm schenkt. Die Leute erzählen, dass sie nie einen zufriedeneren Menschen getroffen haben.“
„Wesir! Findet mir diesen Mann und bringt ihn zu mir. Er muss mir von seinem Glück erzählen.“
Der Wesir schickte Soldaten aus, den Mann zu suchen. Sie fanden ihn schließlich, und brachten ihn zum Kalif.
Er staunte nicht schlecht, als die Soldaten den Mann vorführten. Ein langhaariger, vollbärtiger alter Mann, in ärmlicher Kluft. Dieser Mann sollte das Geheimnis des Glücks besitzen.
„Setzt euch, alter Mann. Ich möchte euch etwas erzählen. Wie ihr wisst, bin ich der Kalif dieses Landes. Das Land gehört mir. Auch habe ich noch zwölf andere Länder erobert. Ich habe einen Harem, der aus achtundvierzig Frauen besteht. Über zehntausend Sklaven arbeiten für mich. Es bedarf zweihundert Kamele, meinen Goldschatz aufzuwiegen. Meine Juwelen füllen Räume aus. Ich brauche nur mit dem Finger zu schnipsen und die Menschen kriechen vor mir. Bin der Herr über Leben und Tod. Und doch fühle ich mich wie leer. Nichts löst Freude in mir aus, noch kenne ich Mitgefühl oder Trauer. Man sagt, du seihst zufrieden mit deinem Leben. Wenn dem so ist, kennst du gewiss das Geheimnis des Glücks. Was hast du, dass ich nicht besitze, alter Mann?“
Der alte Mann schwieg eine Weile, schien seine Antwort wohl zu überdenken. Als er antwortete, legte sich ein sanftes Lächeln über sein Gesicht.
„Ich bin menschlich, bin einfach ein Mensch“, sprach er und ging.

„Sternchen? Du bist so still. Die Geschichte ist fertig. Konnte ich dir helfen?“
„Oh ja, Papa! Wenn ich das unserer Lehrerin erzähle, wird sie sagen, dass wir Träumer sind…von wegen Mensch und menschlich sein, und so.“
„Und, was wirst du ihr antworten?“
„Ich werde ihr sagen, dass es ohne Träumer keine Träume gibt.“
„Das ist gut, mein Sternchen!“

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Der Kopf denkt weiter als man denkt.