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 Betreff des Beitrags: Gedankensplitter XIV
BeitragVerfasst: Fr 14. Jan 2005, 19:19 
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Er saß am Pool und genoss die Aussicht auf die sich im Wasser spiegelnde Feuertreppe. Er liebte es, wenn sich die Oberfläche des Wassers kräuselte und den Dingen eine neue Form gab. Dass er diese Sicht der Dinge so liebte, lag an diesem einen tiefen Wunsch in ihm. Vielleicht auch an ihr. Um 09:30Uhr würde sie kommen. Sie kam nie zu spät. Flanierte in ihrem roten Nichts übers Pool-Parkett. Eine Grazie, bestehend aus Körper und Sex. Er sprach ihr jeglichen Geist ab. Darauf stand er besonders. Sie waren einfacher zu bekommen. Eine Lüge hier, eine Übertreibung dort…man musste nur die Größenordnungen des Reichtums ein wenig, gut gemeint – versteht sich, übertreiben, schon lagen sie flach. Ein wenig machte er sich über sein Äußeres sorgen.
Seit der Haarausfall extreme Formen angenommen hatte, ließ er die letzten Strähnen wachsen. Morgens verbrachte er Stunden vor dem Spiegel. Immer wieder strich er sich seine Haare von links nach rechts über den kahlen Schädel. Er hatte einen speziellen Kleber erfunden, bestehend aus einem Haar-Gel und Spray. Mit diesem Kleber besprühte er jedes Haar. Und immer wieder…von links nach rechts. Als würde er sich einen roten Teppich übers Hirn legen. Jedes Haar hatte seinen Platz. Die Ordnung nahm auf seinem Kopf den Anfang, setzte ihren Weg von hier aus ins Innere erfolgreich fort. In ihm war alles an seinem Platz. !Systematisch! war sein Lieblingswort. Wenn man nur systematisch die Dinge in Angriff nahm, konnte man nicht verlieren. Alles war zu kontrollieren. Fast alles.
Der Wind war so ein „fast alles“. Er war sein Feind. Er hasste ihn. Alles konnte er zunichte machen. Ein ewiger Kampf. Diese Angst, der Wind könne sein Haar ruinieren, ängstigte ihn zutiefst.
Kam seine „Lady in Red“ dahergetanzt, nahm er die Finger der rechten Hand in den Mund, bespuckte sie eiligst, und ordnete aufs Neue sein Haar. Dieses gehörte hier hin, jenes dort. Jedes Haar gehörte zu einer Strähne, jede Strähne hatte ihren Platz. System…für alles gab es ein System.
Seine ständigen Gedanken: „Ob sie wohl sitzen? Bitte, bitte, lieber Gott. Kein Wind jetzt…nur kein Wind.“
Ihr Gang…“Nimm mich, nimm mich“, sagten ihre Arschbacken und meinten nur ihn. An ihrer Liege angekommen, selbstverständlich war sie immer frei, begann dieses nur für ihn inszenierte aufreizende Spiel. Sie nahm ihr Handtuch und legte es gewissenhaft über die Liege. Dabei beugte sie sich so tief in seine Richtung, dass ihr Busen aus dem Oberteil zu hüpfen drohte. Und dann…dieses unschuldige Lächeln. Diese Handbewegung, mit der sie alles wieder an seinen Platz brachte. Und wieder dieser Blick, der nur eines sagte: „Das könnten deine Hände sein.“ Während sie ihr Oberteil auszog und sich eincremte, brachte er es einfach nicht fertig, den Blick auch nur andeutungsweise abzuwenden. Seit Tagen schon wollte er zu ihr gehen und sie fragen, ob er ihr den Rücken eincremen solle. Gestern ging er tatsächlich an ihrer Liege vorbei. Für den Hauch einer Sekunde blieb er stehen…und konnte einfach nicht. Dann war nur noch Panik. Mit Würde und System abtreten. Schließlich ging er weiter, Richtung Bar. Dort ließ er sich einen Tequila-Sunrise mixen. Nicht das ihm dieser Drink schmeckte, aber allein die äußere Aufmachung machte was her. Ein Getränk für wahre Männer. Sie würde das Glas sehen und verstehen. Der Gang, zurück von der Bar zu seiner Liege, war schwierig. In den letzten Jahren hatte er sich ein Wampe angesoffen und -gefressen. Es galt also mit aller Gewalt den Bauch einzuziehen und dabei das bis zum Rand gefüllte Glas zu balancieren. Das verlangte volle Konzentration von ihm.
„Denk an den Bauch, denk an dein Glas. Systematisch…Schritt für Schritt. Sein Blick durfte ihn auf keinen Fall verraten. Lässig und locker. Zurück auf der Liege der immer gleiche Griff in seinen Rucksack. Eine weitere Runde „Eindruck schinden“ war angesagt. Sonnenbrille hervorgekramt und sein Buch…“Krieg und Frieden“! Es begleitete ihn nun schon im dritten Urlaub. Über die dreißigste Seite war er nie gekommen. Das Buch war Scheiße, befand er. Aber darauf kam es nicht an. Sonnenbrille an und einen auf Kultur gemacht. Sie konnte seine Augen durch das sich spiegelnde Glas nicht sehen. Er verführte sie mit seinen Augen…immer wieder. Dann kamen die Erinnerungen.
Er war schon einmal hier gewesen. Fast auf den Tag genau vor acht Jahren. Auf Hochzeitsreise. Warum hatte er sie geheiratet. Er konnte sich nicht mehr erinnern. Auch an die Liebe nicht. Sie war eine dumme Schlampe. Er hätte es sehen müssen…aber dieser Körper, dieser Sex.
Anfangs war alles gut. Man muss ja einem Menschen Zeit zur Eingewöhnung geben. Aber diese Schlampe verstand einfach nichts. Sie versagte bei den einfachsten Regeln, dem simpelsten System. Es konnte doch nicht so schwer sein, zu begreifen. Die Sofakissen hatten nun einmal ihren Platz. Das sie aufgeschüttelt und in der Mitte einen Knick haben mussten, verstand sich doch wohl von allein. Die drei Wohnzimmerfenster hatten die gleiche Größe, die gleichen Stores. 25 Falten pro Store verlangten nur ein wenig Aufmerksamkeit beim Aufhängen. Aber nein…immer wieder versagte diese dumme Schlampe. Die Zahnpasta hatte links zu stehen. Die Bürste mit dem Griff nach rechts – rechts von der Zahnpasta…Nur mitdenken hätte sie müssen. Etwas ihren Kopf anstrengen. Aber nein…
Gewissensbisse? Sie hatte die Prügel verdient. Anfangs für jedes Versagen einen kleinen Klaps.
„Die Milch gehört ins mittlere Fach“, und zack. Nicht fest…mehr so ein Denkanstoss.
Doch sie kapierte einfach nichts. Mit dem Blut kam dieser ängstliche Blick in ihre Augen. Und mit der Angst das Verstehen. Sie schrieb sich die Regeln auf. Kapierte endlich das System. Die Fehler wurden weniger. Aber sie war zu blöde für 100%. Dummheit muss bestraft werden. So einfach ist das.
Gestern war er im Meer schwimmen und musste plötzlich an sie denken. Wenn sie nun hier an ihm vorbei getrieben käme…
„Ich gehe ins Wasser“, hatte sie geschrieben. Dann war sie verschwunden. Er musste laut lachen. Das wäre was. Die Schlampe hier im Wasser treibend. Welch ein köstlicher Witz.
Die Erinnerungen verblassten und er konzentrierte sich wieder auf die Nippel der süßen Schlampe gegenüber.
„Ich werde sie bekommen,“ dachte er „und sie wird mich verstehen. Ich werde schon dafür sorgen.

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Der Kopf denkt weiter als man denkt.


Zuletzt geändert von Otti am Mo 17. Jan 2005, 07:44, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Gedankensplitter XIV
BeitragVerfasst: Fr 14. Jan 2005, 19:47 
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Beiträge: 2221

ein hammer!

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Du kannst nichts dafür, aber dagegen!


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 Betreff des Beitrags: Re: Gedankensplitter XIV
BeitragVerfasst: Fr 14. Jan 2005, 19:56 
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Registriert: Sa 6. Sep 2003, 14:45
Beiträge: 9330
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puh, das ist aber heftig!
meine güte.

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Lieben Gruß,
Kathrin smiley_1:

----------------------------------

dem wort anheim fallen...


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 Betreff des Beitrags: Re: Gedankensplitter XIV
BeitragVerfasst: Fr 14. Jan 2005, 19:59 
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Registriert: Di 26. Aug 2003, 08:55
Beiträge: 4916

<p><blockquote><font size="1" face="Verdana, Arial">Quote:</font><hr>puh, das ist aber heftig!
meine güte.

<hr></blockquote></p>

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Sein, was du bist - Tun, was du kannst. Nicht mehr - nicht weniger

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 Betreff des Beitrags: Re: Gedankensplitter XIV
BeitragVerfasst: Fr 14. Jan 2005, 21:13 
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Registriert: Fr 7. Nov 2003, 23:05
Beiträge: 3963

voll krass grossartig!!!

otto, deine beobachtungsgabe ist genial (ich kenne einen, auf den nur schon deine äussere bescheibung haargenau passt - und ich meine haar!genau!) ,-), und du schreibst mit einem rhythmus, dass man beim lesen fast ausser atem gerät.

einen kleinen schatten hat's im text: für mich widerspricht sich, dass er am anfang der story den wind liebt...

<i>Er liebte es, wenn der Wind über die Oberfläche strich und allen Dingen eine neue Form gab. </i>

... dann aber folgt:

<i>Der Wind war so ein „fast alles“. Er war sein Feind. Er hasste ihn. Alles konnte er zunichte machen...</i>


aber sonst: einfach hammermässig!

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mir ist die lächerlichkeit, gedichte zu schreiben, lieber als die lächerlichkeit, keine zu schreiben. (wislawa szymborska)


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