Es war einmal ein wunderschöner roter Apfel. Er wusste, bald schon würde er gepflückt, um seiner Bestimmung übergeben zu werden. Ein Mensch würde ihn sehen, sich über seine Schönheit freuen, ihn kaufen und sich ihn wohl schmecken lassen. Als er nun so da hing und auf seine Bestimmung wartete, sein Rund immer schön in die Sonne streckend, kam auf einmal, mir nichts – dir nichts, ein Wurm des Astweges daher gekrochen. Monsieur Vermisseau, seine Vorfahren stammten aus den Cidre-Anbaugebieten der Normandie, der Pays d`Auge, um genau zu sein, war ein Kenner, seinem gourmetischen Auge entging nicht die kleinste Missbildung der Natur. Und hier war er. Der vollkommene Apfel, der nur darauf wartete, von ihm verköstigt zu werden. „Mon Dieu, welch ein Naturereignis. Wenn das mein Vetter Jacques, Gott hab´ ihn selig, noch hätte sehen können. Ein Apfel, nicht von dieser Welt. Wie aus einem Stilleben Monet´s. Das musste Fügung sein. Seine Suche war nicht umsonst gewesen. Jetzt, da er am Ende seines Weges war, dass spürte Monsieur Vermisseau schon seit geraumer Zeit, hatte er ihn gefunden. Den Paradiesapfel…dafür hatte sich alle Mühe gelohnt. Dieses, sich durch halbverfaultes, geschmacklich unbestimmtes Fruchtfleisch kauen, hatte einen größeren Sinn gehabt. Nun, vor der Vollendung seines Lebens sitzend, sich auf seine fünf Sterne Mahlzeit freuend, blickte er den Apfel freundlich an und sprach: „Bonjour, mon Pomme. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Monsieur Vermisseau, zu ihren Diensten! Ist das nicht ein wundervoller Tag um aufgegessen zu werden?“ Dem Apfel, der die Ankunft des Wurmes schon seit geraumer Zeit mit Argwohn verfolgt hatte, schwante Böses. Das konnte doch nicht sein Ziel sein. Von einem daher gekrochenen Wurm durchlöchert zu werden. „Damit wir uns richtig verstehen, du Wurm, ich bin für ein höheres Ziel gedacht. Es ist keineswegs meine Aufgabe von einem elenden Wurm angeknabbert zu werden. Ein Mensch wartet auf mich, einer, der meine Schönheit und meinen erlesenen Geschmack zu schätzen weiß.“ „Mon Dieu, welch ein loses Mundwerk du hast. Von erlesener Schönheit bist du, oh ja, doch scheint mir dein Hirn ein wenig, sagen wir mal ~wurmstichig~ zu sein. Von einem Menschen willst du verzehrt werden – wohlan…lass uns überlegen! Das menschliche Gebiss, besitzt zwischen 28 und 32 Zähne. Bei einem normalen Beiß- und Kauvolumen gehe ich davon aus, dass du innerhalb von sagen wir mal zwei Minuten aufgegessen bist. Deine zerbissenen, durchkauten Einzelteile werden sich dann auf den Weg in den Magen-Darm Trakt dieses wundervollen Menschen machen. Solltest du nach den unsäglichen Schmerzen des Zerkauens noch bei Bewusstsein sein, was durchaus denkbar ist, werden deine Reste in einem Säurebad landen und dort langsam aufgelöst werden. Ja…wenn ich recht bedenke, ist das schon ein wünschenswertes Schicksal, mon Pomme!“ Plötzlich waren die Geschichten der Alten in weite Ferne gerückt. Der Apfel dachte so vor sich hin und war sich seiner erwünschten Zukunft plötzlich nicht mehr so sicher. Das, was der Wurm erzählt hatte, war stichhaltig und klang so gar nicht nach Freude und Bestimmung, Himmel und Erlösung. Der Zweifel nagte und es war ihm nicht wohl in seiner Haut. „Welche Alternativen hätten sie denn anzubieten, Monsieur Vermisseau? Nicht das ich mein Ziel etwa bezweifle, nur so, um des Gespräches willen.“ „Nun, mon Pomme! Die Alternative…ich habe keine Zähne. Beiße sanft mit meinen, sagen wir Lippen, zu…und bediene mich nur eines kleinen Teils deines wundervollen Körpers. Du wirst es kaum spüren. Und während ich esse, werde ich Lieder singen über deinen Wohlgeschmack und deine Schönheit in Gedichten preisen. Ich werde einen Weg durch dich fressen. Einen von Süden nach Norden und einen von Westen nach Osten. So wird immer Licht in dir sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die Menschen werden dich am Baum hängen lassen. Sie meiden uns Würmer. Vielleicht werden andere Würmer kommen. Angezogen von den Sagen, die sich um dich ranken. Und Vögel werden von dir hören und dich kosten wollen. Ein ehrenvoller Apfel wirst du sein, bis zu deinem Ende.“ „Das klingt wundervoll, Monsieur Vermisseau. Es wäre mir eine Ehre, wenn sie von mir kosten wollten.“ „Aber gerne, mon Pomme! Wenn sie möchten, erzähle ich Ihnen von meinen Verwandten in der Normandie. Sie glauben nicht, was es dort für Möchte-gern-Äpfel gibt. In keinster Weise mit Ihnen vergleichbar, sie Unvergleichliche.“ „Sie scheinen mir ein Schwerenöter, Monsieur Vermisseau…ja, das sind sie.“ „Aber, aber, mon Pomme! Also…meine Verwandten in der Normandie sind natürlich alle adliger Herkunft und sie werden es nicht für möglich halten...damals auf meinem Weg...
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am Mi 9. Feb 2005, 15:07, insgesamt 1-mal geändert.
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