Als Strafe für sein verruchtes Leben, steckte Gott den Geist des Verstorbenen in eine Porzellanfigur. Eine dieser Puten, diese selten dämlich blickenden Engelchen, für die Gott besonders viel übrig hat. Da stand er nun in einem Regal, mit Blick auf ein altdeutsches Wohnzimmer, dass in seiner gigantistischen Hässlichkeit kaum zu überbieten war. Alles war von Protz bestimmt, von schwerem dunklen Holz. Er sah einen Teil des großen Schrankes, dessen obere Ecke einem Flügel glich. Daneben, über Eck, ein Sekretär, dessen Größe den restlich sichtbaren Raum zu erdrücken schien. Das rechte Ende eines Tisches, drei Stühle. Aus seinem Blickfeld heraus, durch die starren Porzellanaugen eingeschränkt, konnte er die Fenster des Raumes nur durch den Lichteinfall erahnen. Er hatte nur eine wesentliche, totale Aussicht. Die große Standuhr, mit ihrem sich hypnotisch bewegendem Pendel. Tick Tack, Tick Tack Das Zimmer wurde kaum genutzt. Bei den seltenen Gelegenheiten, es schien sich stets um Feierlichkeiten zu handeln, so entnahm er es zumindest der Geräuchskulisse, den Gesichtern der Menschen, die er nur aus den Augenwinkeln heraus sehen, mehr ahnen konnte, schrie er mit seinem kalten geschlossenen Mund Verwünschungen in die fröhlichen Gesellschaften, die nur aus einem Grund zu existieren schienen…ihn zu demütigen und zu kränken. Anfangs glaubte er noch, er sei nicht tot, lediglich verrückt, und mit der Zeit werde sich dieser Zustand wieder legen…alles würde gut. Doch es geschah nichts. Keine Schwester, die zärtlich seinen Namen rief, kein Arzt, der ihn mit einer extra für ihn erfundenen Medizin ins Leben zurückrief. Er war immer an diesem einen Ort. Mit der Zeit erkannte er sich. Wenn er mit seinen Augen so weit wie möglich nach rechts blickte, sah er einen kleinen weißen Engel. Der schaute um eine weiße Stele, die auf einem Regal stand. Blickte ihm direkt in die Augen. Es dauerte eine Ewigkeit, von der er Ewigkeiten zu besitzen schien, bis er begriff. Er war ein Engel aus Porzellan. Er sah es vor sich. Zwei Engel an einer Stele. Der eine blickt links, der andere rechts um die Säule. Dort treffen sich ihre Augen. In diesem Augenblick der Erkenntnis begann er zu weinen. So, dachte er, fühle es sich an und fragte sich gleichzeitig, ob dieser andere Engel wohl auch lebendig sei. Doch er schwieg. All die Jahre. Manchmal glaubte der Verruchte eine Bewegung, einen Wimpernschlag auszumachen, doch nichts, der Engel schwieg. Tick Tack, Tick Tack Seine Gebete verstummten, sein Bitten erstarb. Er wusste nun um die Strafe. Mit diesem Wissen begann die Angst. An guten Tagen konnte er ihr ein wenig entgehen, sich Welten außerhalb seines Gefängnisses schaffen. Staubkörner im Licht zählen, Sekunden und Stunden zu Geschichten verrinnen lassen. Aber gerade dies fiel ihm immer schwerer. Die Gleichförmigkeit der Zeit brachte ihn um den Verstand. Dieses wie in Zeitlupe pendelnde Zepter der Ewigkeit, schwang durch sein Universum und verdeutlichte ihm mit jedem Tick und Tack, dass es keine Erlösung, keinen Trost, keinen Schlaf gab. Für immer hier an diesem Ort. Er und der wahre Engel, der ihn beobachtete. Dieses Gewissen – dieser Biss, der ihn an sein Leben gemahnte. In diesen toten Augen konnte er sein Leben lesen. Immer wieder, immer tiefer, immer bitterer und kälter. Gott und Teufel war dieser Engel, seine Strafe -in Ewigkeit-Amen. Sein letzter Trost war der Mann, der einmal am Tag kam und die Uhr aufzog. Im Laufe der Jahre wurde er für ihn sein Kalender. Am Gang des Mannes, seiner Körperhaltung, erkannte der Verruchte den Lauf der Zeit. Nie sah er das Gesicht des Mannes, immer nur dessen Rücken, auf dem nun ein schwerer Stein zu liegen schien. Dieser Rücken war ihm Realität und Welt weit weg von diesem Alp. Doch der Alp wurde immer größer und größer. Der Schrank, der Tisch, die Stühle, der Sekretär, das Regal, die Stele, das Pendel, die Uhr… Tick Tack, Tick Tack Die Stimmen in seinem Kopf wurden lauter. Sie fragten ihn, ob er sich denn schon einmal Gedanken gemacht hätte was geschehe, wenn der alte Mann nicht mehr käme um die Uhr aufzuziehen? ~Was wird sein, was wird sein~ sangen sie immer wieder. Längst hatten die Stimmen seinen Kopf verlassen. Sie schienen auf dem Pendel der Uhr zu sitzen, unsichtbare Münder… ~was wird sein, was wird sein~ und die Uhr spielte ihre Melodie dazu… Tick Tack, Tick Tack Das Gesicht des wahren Engels hatte sich verändert…es lächelte ihn an. Ein böses, alles Gute verschlingendes Lächeln. Nun hatte er wieder einen Grund zum beten. Jede Sekunde betete und bettelte er, dass der alte Mann kommen möge. Alles in ihm war von Angst erfüllt, einer unerklärlichen Angst, wusste er doch nicht was geschehen könnte, wenn die Uhr aufhörte zu schlagen. Aber etwas sagte ihm, dass er es nicht wissen wolle. ~was wird sein, was wird sein~ Dann geschah es. Der Verruchte blickte auf die Uhr. Die Zeit des Alten war schon lange überschritten. Er kam immer um die gleiche Zeit, ein Ritual. Heute nicht. Die Zeit schlief ein. Der Pendel dehnte den Zeitenraum. Tick Tack, Tick...Tack, Tick........Tack, Tick............Tack, Tick...................Tack, Tick............ .............Tack, Tick..........................Tack, Tick..............................................Tack,............................................. …waaaass wiiiirddd ssssseeeiiiinnn…........Tick….............................................................Tack, Er hörte ein knirschen und krachen, blickte in das Gesicht des wahren Engels. Risse durchzogen es und im gleichen Augenblick spürte er diesen Schmerz, der alles, jeden Gedanken aus ihm löschte.
Tick………………………………………………………………………………………Tack.
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am Mi 24. Aug 2005, 17:00, insgesamt 1-mal geändert.
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