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 Betreff des Beitrags: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Do 22. Sep 2005, 21:01 
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gegen mittag ging ich mit meinem hund spazieren. ich mache das immer so. alleine bin ich so müde…mit meinem hund, auch wenn er tot ist, ist es ganz ok. wir gehen immer den gleichen weg. der tod ändert nichts daran…
…wir gehen also, wie immer, an den gärten vorbei. vorbei am garten der alten chinesin, die dort stets auf dem boden kniet und vor sich hinmurmelt. spricht man sie an, hebt sie den kopf und lächelt. dabei nickt sie unablässig mit dem ganzen körper.
sie hält mich für einen buddha, denke ich.
ich fragte sie mal, warum sie ständig auf dem boden kniet und murmelt. sie sagte, man müsse dem reis gut zusprechen, sonst könne er nicht wachsen. aber hier wächst kein reis, antwortete ich ihr. das könne nur daran liegen, dass ihre ansprache nicht gut genug sei, meinte sie.
gegenüber ist der garten vom alten mayer. ja, genau…arschloch-mayer. in stalingrad hat ihn ein schrapnellsplitter am hirn gekitzelt. die russen haben ihm ´ne metallplatte in den kopf gemeißelt. von da an war er arschloch mayer. alle menschen, denen er begegnet, schreit er an:
du arschloch, arschloch du!
na ja…für die, die ihn nicht kennen, ist es schon blöd, aber wir hier im dorf haben uns daran gewöhnt. alle sind arschlöcher für ihn. auch die tiere. nur die hunde nicht. die hunde lieben ihn und er die hunde. auch meinen hund.
ich stehe also da und grüße arschloch-mayer…<hallo mayer! rufe ich> und er antwortet direkt: du arschloch, arschloch du!
dann sieht er meinen hund und kommt zum zaun. mein hund beginnt wie krank mit dem schwanz zu wedeln und mayer registriert das und lächelt. ich frage mich wirklich, wie mayer einen toten hund sehen kann.
ein stück weiter des weges sitzt ´ne einsame krähe auf einem einsam dastehenden baum und erkrächzt uns was von der melancholie des herbstes. mein hund mag weder herbst noch krähen. wütend bellt er herbst und krähe an, worauf sich der vogel verzieht. der herbst bleibt.
hier draußen im feld hat die sonne keine chance gegen den wind. die spuren der störche sind längst verweht. vom himmel winkt eine drachenwolke. ein stattlicher bursche. mit seinem schwanz ersticht er die sonne, worauf sie vom maul des drachen verschluckt wird.
ohne sonne macht es hier echt keinen spaß. mein hund meint, wir sollten gehen.
zwischen den fachwerkäusern lässt es sich gut vor dem wind verstecken. winfried steht am briefkasten und unterhält sich mit ihm. das macht er immer so. er hat sonst niemanden zum sprechen. seine mama ist bei der geburt gestorben. er beinah auch. sein hirn hat zu wenig sauerstoff gekriegt, irgendwie. dann hat ihn oma großgezogen. aber oma ist nun auch schon lange tot.
winfried ist knecht. er hilft den bauern. mist wegmachen und so. der bechtebauer hat mal gesagt, wenn der winfried mit den kühen spreche, wäre die milch noch mal so gut. er hätte so eine beruhigende stimme. na…ich weiß ja nicht. winfried stottert wie blöde. bis der guten morgen gesagt hat, ist es guten abend. mir soll´s recht sein. kühe sind eh blöd.
ich frage winfried, mit wem er denn spreche. mit dem brief von der hübschen jungen frau dort, antwortet er. das sei ein liebesbrief für ihn und er beantworte ihn gerade. der winfried hat echt einen hau, sage ich euch.
mit seiner linken hand öffnet und schließt winfried den deckel des briefkasten und spricht dabei mit verstellter stimme, die wohl die frau sein soll. anschließend antwortet er ihr mit seiner stimme.
>ich geh dann mal lieber>, sag ich, schnapp mir meinen hund und geh.
so! jetzt habe ich euch alles wichtige von heute erzählt. nun gehen wir schlafen. gute nacht bild. gute nacht gummibaum und gute nacht mein lieber stuhl. und all ihr anderen…schlaft auch gut.

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Zuletzt geändert von Otti am So 25. Sep 2005, 13:43, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Do 22. Sep 2005, 21:56 
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Welten, deren Grenzen fließend sind - weil das eben so sein muß...

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bye, bye, my I


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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Fr 23. Sep 2005, 11:59 
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ich danke euch...

vielleicht solltest du einen spaziergang mit lizzy und mir unternehmen, liebe annabel. gerne würde ich dir die menschen an meiner seite vorstellen. natürlich auch den gummibaum...und meinen stuhl...und all die anderen dinge.

ob du sie sehen könntest, fragst du?

wer weiß?

alles liebe otto

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Zuletzt geändert von Otti am Fr 23. Sep 2005, 12:23, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Fr 23. Sep 2005, 13:18 
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Beiträge: 4916

ich mag die geschichte....... sie ist leise, trotz 'arschloch-mayer'

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Sein, was du bist - Tun, was du kannst. Nicht mehr - nicht weniger

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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Sa 24. Sep 2005, 17:38 
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Registriert: Sa 6. Sep 2003, 14:45
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einsamkeit, viel einsamkeit lese ich in deiner geschichte, otto.
ein mensch, der nur noch seinen toten hund als begleiter hat, der scheinbar nur "arschloch-meyer" und dem blöden winfried begegnet auf seiner runde durch den tag und sich von einrichtungsgegenständen wie von menschen verabschiedet - ja, der muß einsam sein.

deine sprache ist lakonisch irgendwie (hoffe, der ausdruck stimmt), irgendwie auch fatalistisch - da kommt nichts mehr, ist nichts mehr zu erwarten in diesem leben. der gummibaum wird nie antwort geben...

deine blicke hinter die stirn, hinter die schönen, leichten seiten des lebens, auf den alltag jenseits von sommer, lachen und sonne sind oftmals sehr direkt, schmerzen - daß man manches mal wünscht, man wäre ihnen nicht gefolgt.
und doch haben sie etwas, das in den bann zieht, dem man sich nicht entziehen kann.
nicht zuletzt, weil man weiß: so kann das leben sein, gleich nebenan, um die ecke...


lg,
kathrin

_________________
Lieben Gruß,
Kathrin smiley_1:

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dem wort anheim fallen...


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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: Sa 24. Sep 2005, 19:26 

... von mir einfach nur,
Chapeau!

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 Betreff des Beitrags: Re: wirklichkeiten
BeitragVerfasst: So 25. Sep 2005, 09:55 
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danke <img src="http://www.ottolenk.de/smileys/11.gif" border="0">

und ja...so ist das leben. gegenüber im haus, erster stock. dort wohnt winfried. und ja...gleich um die ecke wohnt arschloch-mayer. wo die chinesin wohnt weiß ich nicht. jeden morgen läuft sie auf ihrem weg in den garten an unserem haus vorbei. vielleicht kommt sie aus china...oder aus nirgendwo.

alles liebe euch otto

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