Die Gockelfrauen fanden Fräulein Schmidt selbstverständlich hässlich. Nein, nicht nur hässlich…dumm war sie… und arrogant in ihrer ganzen Art. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch keines der Hennchen mit ihr gesprochen. Das war auch nicht nötig. Anhand des Gebärens ihrer Männchen wussten die Weibchen alles über dieses „Möchte gern“. Es galt einen Schlachtplan zu entwerfen. Auf beiden Seiten. Für die Hühner galt es, dies fremde Federvieh auf ihre Seite zu ziehen…für die Männer galt nur eins: Kikeriki! Womit wir fast wieder beim Gespräch zwischen Herrn und Frau Hübner wären. Nur noch ein kleiner Abstecher, der Erklärung halber. Nach langen und schweren Koalitionsverhandlungen war vor einigen Tagen entschlossen worden, die kleinen Zwerge samt Rehchen in den nach hinten gelegenen Nutzgarten zu verfrachten. Herr Hübner hatte dies seiner Frau gegenüber mit der Zeit zu begründen versucht. „Schau doch nur, Häschen. Dieses ganze Zeugs in unserem Garten ist mega-out.“ „Was für Zeugs? Und was um Gottes Willen ist mega-out.“ „So sagt man heute zu Sachen, die nicht mehr angesagt sind. In der heutigen Zeit hat man keine Gartenzwerge. Die sind mega-out!“ „Wer sagt das?“ „Alle sagen das. Lochners und Linkes. Tomás sagen das auch!“ „Na dann ruf ich mal bei Gertrud an und frag sie, was sie von den Gartenzwergen hält. Wir waren doch gerade erst bei Obi und haben diesen süßen Schubkarrenzwerg, der, der immer so schön lächelt, gekauft. Kann mir gar nicht vorstellen, dass sie ihre Meinung so schnell geändert hat.“ „Doch nicht Gertrud. Ich meine Heinz. Heinz sagt das. Und Hermann auch!“ „So! Und wie seid ihr auf diesen Gedanken gekommen. Vielleicht bei einem Gespräch mit Fräulein Schmidt?“ „Fräulein Schmidt, Fräulein Schmidt. Immer hör ich nur Fräulein Schmidt von dir. Als hätten wir keine eigene Meinung!“ „Vor Fräulein Schmidt hattet ihr keine“, sagte Frau Hübner. Da hattet ihr uns, dachte sie. Man einigte sich schließlich auf den Nutzgarten. „Dort können wir uns auch an ihnen erfreuen, oder nicht“, meinte Herr Hübner. Frau Hübner stöhnte, winkte ab und verließ das Zimmer. Einige Tage später sah man Herrn Hübner bei Fräulein Schmidt stehen. Er lächelte und nickte verstehend mit dem Kopf. Seine Frau, ihn von Küchenfenster aus beobachtend, sah Herr Hübner nicht. „Ihre Gartenporzellangesellschaft ist ja verschwunden, Herr Hübner. Wie ich ihnen sagte…nun wirkt alles viel natürlicher, freundlicher, nicht so lächerlich.“ „Ja, natürlich hatten sie Recht. Aber sie wissen ja wie das ist, mit uns Männern. Wir haben für nichts ein Auge, na ja, für fast nichts. Ha, ha, ha! Und die Frau bestand halt auf den Zwergen. Na ja…sie verstehen schon. Um der liebe Frieden Willen macht man so manche Sachen. Sie sollten einmal einen Blick in den Nutzgarten werfen. Da stehen nun die Zwerge zwischen Tomaten, Blumenkohl und Wirsing. Das Wachpersonal! Schnecken und Wühlmäuse werden sich bei deren Anblick zu Tode erschrecken. Wenn wir sie nicht hätten, liebes Fräulein Schmidt!“ Nach und nach verschwanden die Zwerge aus den Vorgärten. Die Arbeiten an den Teichen wurden vernachlässigt. Boros, dessen Lieblingsbeschäftigung es war, einmal pro Woche neben seinem Teich zu sitzen und die altertümliche Pumpe zu reinigen, ging dieser Tätigkeit nicht mehr nach. Der Springbrunnen sprang nicht mehr. Die anderen Brunnen schlossen sich nach und nach an. Mit der Zeit verlor das Selbstverständliche an Selbstverständlichkeit. Die Männer ließen es grünen und wachsen. Pure Natur war plötzlich das Motto. Fragte man die Hennen: Fräulein Schmidt. Fragte man hingegen die Gockel war alles entweder mega-in oder mega-out, oder besser gesagt: Kikeriki! „Früher war alles gut. Dann kam diese Schlampe und alles, alles was für uns von Wert war, wurde wertlos.“ Entschuldigung, wenn ich an dieser Stelle das Gespräch ein weiteres Mal unterbreche, aber so ganz wertlos, wie Frau Hübner das Leben schilderte, war es nun doch nicht. Das Erscheinen von Fräulein Schmidt hatte für die Damen auch einige, nicht zu übersehende Vorteile. Darstellende Männer sind Schaffer. Seit „die Deutsche“ hier wohnte, wurde gehämmert und gehobelt. Alles, ja wirklich alles erstrahlte im neuen Glanz. Und Anstand hatten die alten Gockel nun auch. Man trug den Damen die Einkaufskörbe ins Haus. Hängte Wäsche auf und putzte die Fenster. Mann zeigte sich ausschließlich von seiner besten Seite. Natürlich wussten die Damen für wen ihre Männer diesen Aufwand betrieben. Waren es doch immer wieder Arbeiten, die von der „hübschen“ Nachbarin beobachtet werden konnten. Und das tat sie in den Gedanken unserer Gockel. Ja! Sie stand hinter dem Vorhang und beobachtete ihn, nur ihn und ihn und ihn. Das Ergebnis es männlichen Gehabe, für wenn auch immer der Aufwand betrieben wurde, war: es wurde schöner, leichter, lebenswerter. Mittlerweile hatten die Damen Fräulein Schmidt kennen gelernt. Nicht etwa, weil sie Freundschaft hätten mit ihr schließen wollen. Nein, nein! Es ging immer noch um diesen Kriegsschauplatz. Wenn man den Feind schon nicht liquidieren konnte, musste man ihn auf seine Seite ziehen. Koste es was es wolle. In diesem speziellen Fall kostete es Anfangs die „gute Miene zum bösen Spiel“. Man lud die verhasste „Möchte gern“ zum Kaffee ein. Verplauderte sich, wie man es so unter Frauen macht. Die ewig alten, jungen Themen. Mode, Essen, Gewicht und Tratsch. Aus dem anfänglichen Belauern, kleine Nadelstiche versetzen, dem falschen Lachen, wurde mit der Zeit tatsächlich so etwas wie Vertrautheit, Freund- schaft. Sie war gar keine Gegnerin. Gemeinsam lachten man über die alten Gockel, über dieses Bauch einziehen, wenn sie am Haus von Jasmin vorbeizogen. Über das Gel in den Haaren der Männer. Die Musik, die immer dann lauter aus den Autos klang, wenn sie am Haus von „Fräulein Schmidt“ vorbeifuhren. Und nicht nur das…Jasmin hatte Ahnung von Mode, Kosmetik. Ja, sie schnitt den Damen nicht nur die Haare, nein, einmal die Woche ging man gemeinsam in die Stadt, zwecks Einkleidung. Drei mal die Woche wurde gejoggt. Den Männern fielen die Veränderungen an ihren Frauen auf…und, wie soll man sagen, sie hatten nichts dagegen. Ganz im Gegenteil. Da war doch plötzlich wieder etwas von diesem „Wow“, was die Liebe einst ausmachte. Wir könnten nun noch einmal auf das Gespräch bei Hübners an jenem Tag eingehen, aber es ist mega-out. Es sind Monate vergangen, seit diesem Tag. Jasmin wohnt nicht mehr allein. Ein Basti ist an ihrer Seite. Es wird viel gelächelt, in der kleinen Gemeinde, in der Gemeinde. Die Liebe liegt wie eine stille Melodie über allem. Die Männer wissen, dass dieser Basti ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten ist (damals, als sie jung waren). Die Frauen denken von Zeit zu Zeit an diese Muskeln, diese Figur und diesen geilen Knackarsch. Aber irgendwie sind alle bei sich zu Hause.
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am So 30. Okt 2005, 22:59, insgesamt 1-mal geändert.
|