Heute früh (sehr früh), wurde unser Haus von Polizei, Feuerwehr und Männern in weißen Laboranzügen umstellt, die sich später als Dekonterminierungsabteilung der Bundeswehr auswiesen. Ein Herr in blauer Uniform forderte die Einwohner des Hauses per Megaphon auf, sofort die Tür zu öffnen. Jeder Widerstand sei zwecklos. Noch reichlich demoliert von der kurzen Nacht, öffnete ich verängstigt, ratlos und sicher, dass es sich um einen Irrtum handeln müsse, die Tür, um eben diesen Irrtum wortreich hervorzubringen. Diesen durch die unterbrochene Nacht noch irrenden wirrenden Wortschwall sah die Staatsgewalt wohl als Zeichen des Widerstands, worauf man mich umstellte, ergriff und verwahrte. „Irrtümer gibt es im Apparat nicht“, meinte der Mann in Blau, „und überhaupt kann alles was Sie ab jetzt sagen, gegen sie verwendet werden.“ „Einsatz, Plan B“, rief er, worauf sich die Männer in ihren weißen Anzügen vorsichtig dem Haus näherten. Mittlerweile war ich sicher, dass sich in unserem Haus ein mir bis dato unbekannter Feind eingenistet hatte. Vielleicht war letzte Nacht ein Einbrecher, ein Terrorist gar, von uns unbemerkt ins Haus eingestiegen. Wer weiß…hatte da er oder sie eine dieser dreckigen Bomben bei uns versteckt. Chemische Kampfmittel, biologische Kriegsmittel. Die Vorsicht der weißen Männer schien mir nun nicht mehr so lächerlich, wie noch beim ersten Anblick ihres schleichenden, auf alles vorbereiteten Ganges. Ich fragte den Herren in Blau, was sie denn zu suchen und zu finden glaubten. „Aha! Das Unschuldslamm. Tun sie doch nicht so. Gauner und Tunichtgute ihres Kalibers erkenne ich auf den ersten Blick. Ich bin sicher, dass unsere vorbildliche Dekonterminierungstruppe schon in Kürze das Objekt ihres verwerflichen Tuns ans Licht befördern wird.“ Ums Haus geschart, warteten die Männer in Weiß auf den Einsatz der schnellen Eingreifgruppe der Polizei. Ich wollte gerade noch einwerfen, dass die Tür doch gar nicht verschlossen sei, als sie mit einem klobigen Eisenteil eben diese öffneten und zerstörten. Daraufhin folgten Männer mit Kapuzen und MP´s im Anschlag unter Gedings und Gedöns und verschwanden im Haus. Kurze Zeit später hörte man sie handeln. Es schepperte und knarrzte, Glas, Porzellan wurde zerdeppert, Holz barst und immer wieder hallten die Rufe: „Widerstand ist zwecklos!“ Das Haus erbebte unter ihrem wilden Ansturm. Manchmal konnte ich anhand des Klanges den zerstörten Gegenstand erkennen. „Buff“, war eindeutig die Implosion meines geliebten Fernsehers. „Wumm, Knarrz und aaaaaaaaaahhhhhhhhhrrr!“ der Niedergang unseres Wohnzimmerschrankes…usw. usw. Als sie ihre Arbeit beendet hatten, kamen sie wieder aus den Resten unseres Hauses. Vorneweg meine Frau und mein Sohn. Man hatte ihnen Säcke über den Kopf gezogen. Ich rief ihnen immer wieder „alles wird gut“ zu, erhielt aber von den Gesichtern unter den Säcken keine Antwort. Ob sie wohl dachten, dass sie ja schon immer gewusst hätten, dass mit mir etwas nicht stimmte. Wer weiß schon, auf welche Gedanken man kommt…so unter einem Sack. Einer der Maskierten ging auf den Mann in Blau zu und schrie: „Auftrag ausgeführt. Haus frei von Gefahr!“, worauf sich der Blaumann bedankte und den Männern in Weiß zunickte, welche sich nun daranmachten, unser Haus zu inspizieren. In ihren Händen hielten sie merkwürdige Geräte, Wünschelruten nicht unähnlich. Die Stimmen der Männer klangen durch die Masken und Atemgeräte gepresst. „Plan A. Raum für Raum. Dass ihr mir nichts überseht.“ Nach und nach verschwanden sie im Inneren, begleitet vom Knarren ihrer Gerätschaften, welches an die Geräusche von Geigerzählern erinnerte. Der Mann in Blau, welcher sich immer mehr als Einsatzleiter entpuppte, kam auf mich zu. Grinsend! „Glauben sie ja nicht, dass sie eine Chance haben. Wir werden sie finden...sie überführen. Bis jetzt haben wir noch jeden überführt.“ Es ging hier also nur um mich und meine Familie. Anscheinend hielt dieser Typ uns tatsächlich für Gauner, Verbrecher, Mörder, Attentäter, Terroristen oder was auch immer. Ich wurde ein wenig unruhig. War da vielleicht noch ein wenig Dope aus vergangenen Zeiten? Oh, oh! Meine gebrannten CD´s und DVD´s. Die Pornos! Ich bin reif, absolut reif. Jeder ist schuldig, irgendwie. Wir haben alle Dreck am Stecken. Das ist nicht gut, gar nicht gut. Aus dem Haus waren keine Geräusche zu vernehmen. Es dauerte eine Ewigkeit. Mittlerweile war ich von meiner Schuld überzeugt. Nein, nicht nur von meiner, wir alle waren schuld. Meine Frau, mein Sohn…sie alle waren Verbrecher. Bewährung, wenn es gut liefe. Aber doch eher ein-zwei Jahre. Diese Schweine mussten etwas wissen. Etwas, das ich im Laufe der Jahre wieder vergessen hatte. Oder waren da etwa Geheimnisse meiner Frau mir gegenüber? Und wer weiß was unser „lieber“ Sohn so alles treibt. Sein Freundeskreis war mir von je her suspekt. Da kamen sie. Ernste, faltenreiche Gesichter unter den Masken, bildeten sie ein Spalier für den Letzten ihrer Truppe. In seinen Händen eine Tüte. Darinnen das Corpus Delicti. Ich traute meinen Augen nicht. Es war unsere WC-Ente. „Aha! Was haben wir denn da“, orakelte der Blaumann und wies mit seinen wurstigen Fingern auf das Objekt seiner Begierde. „Jetzt werden sie uns bestimmt erzählen wollen, dass sie noch nie etwas von der Vogelgrippe gehört haben, nichts von verendeten Enten. Vom H5N1-Virus. Hier ist der Beweis. Sie halten eine Ente in Freiheit, obwohl Käfighaltung vorgeschrieben. Zum Glück hat uns ein aufmerksamer Besucher ihres zwielichtigen Hauses auf diesen unhaltbaren Zustand aufmerksam gemacht. Das wird sie teuer zu stehen kommen. Kommen sie mit auf die Wache. Sie sind eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, eine Gefahr für Gesundheit und Leben einer Nation.“ Ich wollte etwas entgegnen, aber gerade in diesem Augenblick wurde mir ein Sack über den Kopf gestülpt und ich nebst Familie abgeführt. Man beließ es letztendlich bei einer Bewährungs- und Geldstrafe. Unser Haus hatte man von oben bis unten desinfiziert. Es roch nun ein wenig merkwürdig. Neue Möbel wollten wir uns eh schon seit geraumer Zeit anschaffen, und die Tapeten und Teppiche waren auch nicht mehr das Gelbe vom Ei. Das tägliche Abspritzen vor dem Betreten des Hauses soll nach Angaben des Gesundheitsamtes nur noch ein halbes Jahr fortgeführt werden. Meiner Familie und mir geht es den Umständen entsprechend gut. Gruppengespräche und Einzeltherapie sind sehr hilfreich. Wir benutzen übrigens nur noch WC-Steine.
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am Mo 27. Feb 2006, 13:55, insgesamt 1-mal geändert.
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