Letzte Nacht hat sich ein Mondstrahl in meiner Gardine verfangen. Er hatte sich verirrt. Eigentlich wollte er sich in dem kleinen See, gleich hinter dem Haus, spiegeln. Davon träumte er. Sich in einem See spiegeln und vergehen. Wahrscheinlich wäre er mir nicht aufgefallen. Doch ein Wispern weckte mich aus meinem unruhigen Schlaf. Erst dachte ich, dass der Wind die Gardine zum Tanzen bringe. Aber es war nicht der Wind. Es war dieser Mondenstrahl. Gefangen, wie in einem Netz, zappelte er umher und flüsterte: „Bring mich zum See.“ Hätte ich nicht schon einen Sonnenstrahl, der sich irrtümlich in meinen Spiegel verirrt hatte, zum Horizont geführt (denn dort sei der Ort seiner Bestimmung, sagte er), wäre mir der Wunsch des Mondstrahls wohl merkwürdig vorgekommen. So nahm ich eine Leiter, hing vorsichtig meine Gardine ab, legte sie mir über die Schulter, und ging mit dem Mondlicht zu seinem Wunschsee. Dort nahm ich die Gardine in beide Hände und schüttelte sie vorsichtig aus. Endlich konnte sich der Mondenstrahl aus seinem Netz befreien. Er flog mit einem Seufzer auf die Oberfläche des kleinen Sees. Dort brach sich sein Licht. Es zerfiel in Tausende kleiner Sterne. Der Mondenstrahl war vergangen. Nur der Mond spiegelte sich noch auf dem See. Lächelnd.
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am So 2. Apr 2006, 15:59, insgesamt 1-mal geändert.
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