<i>Der Anfang war vorgegeben, dann sollte man seinen Ideen freien Lauf lassen. Eine Schreibübung aus: Alexander Steele, creative writing</i>
<b>Nur noch ein paar Spatenstiche</b>
Sam war sich nicht sicher, ob es ein gutes Zeichen oder das Zeichen einer kommenden Katastrophe war, aber er wusste ...
... dass er weitermachen musste. Sein Spaten war auf etwas Hartes gestoßen. Kein Stein, sondern Holz, da war er sicher. Hatte er gefunden, was er schon so lange suchte? Er stocherte mit dem Spaten im Erdreich, klopfte die Grenzen des Gegenstandes ab, der hier verborgen war, schaufelte weiter. Die Erde flog in hohem Bogen hinter ihn, als er mit aller Kraft rund um die Kiste einen Graben buddelte. Immer wenn er sie mit dem Spaten traf, klang es dumpf und keineswegs hohl. Die Kiste - es musste eine Kiste sein - war gefüllt. Vor seinem inneren Auge sah er Münzen vor sich, kleine und große Münzen, matt vom Belag vieler, vielleicht hunderter von Jahren. Aber doch unverkennbar aus Gold. Goldmünzen und Schmuck sah er. Perlen und Edelsteine, die ihr Strahlen unter einem grauen Schleier verbargen. Ein Schatz, er hatte einen Schatz gefunden, seinen Schatz. Endlich. Mit den Händen wischte er zärtlich die Erdkrümel von der Deckplatte. Er fühlte Metall. Schwere Eisenbeschläge zeugten vom Wert der Kiste. Wer würde schon solch eine stabile und sichere Kiste verwenden, wenn nicht der Inhalt es forderte. Für ein paar Bettlaken oder Tischtücher wäre das doch vollkommen übertrieben. Er musste die Kiste ausgraben, dann würde er sie öffnen und der Inhalt würde ihm gehören. Schweißperlen glänzten auf Sams Stirn und unter seiner kurzen, dicken Nase. Immer wieder leckte er sich mit der Zunge über die Lippen. Er atmete schwer, als er versuchte, die Kiste mit dem Spatenblatt aus der Erdumklammerung zu hebeln. Es reichte nicht. Er musste weiter graben, tiefer graben. Sam ächzte. Die Arme wurden schwer, Kaum noch konnte er sie heben. Aber er wollte die Kiste, seine Kiste. Er wollte sie bergen, wollte den Schatz darin durch seine Hände gleiten lassen. Er arbeitete verbissen weiter, grub tiefer und tiefer. Bei jedem Spatenstich schmerzten die Hände, Blasen bildeten sich. Die Kiste war groß und schwer, doch er würde sie heben. Die Belohnung war die Mühe tausendmal wert. Der Schatz würde ihm gehören. Nur noch ein kleines Stückchen weiter, nur noch ein paar Spatenstiche.
Hände packten ihn an beiden Armen und zogen ihn in die Höhe. Sam wehrte sich, strampelte, versuchte um sich zu schlagen. Doch die beiden Männer in Weiß hatten ihn mit eisernem Griff gepackt und hielten seine Arme an seinen Körper gepresst, wie die Beschläge das Holz der Schatzkiste zusammenhielten. Sam trat nach ihnen, doch sie wichen geschickt seinen Füßen aus. Er schrie, schrie wie besessen, dass sie ihn loslassen sollten. Es sei sein Schatz, sie hätten kein Recht, ihm seinen Schatz wegzunehmen. Die beiden Weißen drückten ihn ungerührt in einen Rollstuhl und banden ihn daran fest. Sam sackte zusammen, hing nur noch schlaff in dem Gefährt und ließ sich willenlos fortrollen. "Ich weiß nicht, wie er immer wieder schafft, nach draußen zu kommen." Der weiße Mann schüttelte den Kopf und sah seinen Kollegen zweifelnd an. "Keine Ahnung, was er sich dabei denkt, aber das ist schon das fünfte Loch, das er diese Woche in den Rasen gräbt. Als ob er einen Schatz suchen würde. Armer Irrer."
© U.L., September 2006
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