„Mensch Papa, beeil dich doch! Geht das nicht ein bisschen schneller?“ „He Sternchen, hetz mich doch nicht so!“ „Menno! Mir läuft die Zeit weg.“ „So! Die Zeit läuft dir weg. Da fällt mir eine Geschichte ein.“ „Oh nein Papa, bitte nicht.“ „Oh doch, liebes Sternchen. Du wirst dich gedulden müssen. Ohne Geschichte kein Geld.“ „Na gut! Aber beeil dich bitte.“ „Also…
…es war einmal eine Schnecke. Eine von denen, die glücklich und zufrieden vor sich hin schleimen und deren oberstes Credo lautet: Ich habe alle Zeit der Welt. Unsere Schnecke, nennen wir sie Cassiopeia, war gerade wieder einmal dabei, sich keine Sorgen um die Zeit zu machen, als ihr eine andere Schnecke über den Weg schleimte. „Keine Zeit, keine Zeit. Ich habe keine Zeit“, hörte Cassiopeia die andere Schnecke vor sich hin murmeln. Cassiopeia war sehr erstaunt über seinen Artgenossen, gerade auch, weil dieser im Rennschneckentempo über die Wiese schleimte. „Entschuldige, liebe Schnecke. Könntest du mir bitte verraten, warum du es so eilig hast?“ „Warum, warum? Das ist wieder einmal typisch für euch alten Schnecken. Immer erzählt ihr uns Jungen was von zeitlos und sich im Tempo verlieren. Und was haben wir letztendlich davon? Uns rennt die Zeit und somit unser Leben davon. Aber mit mir nicht. Soll ich dir verraten, woran ich gerade arbeite? Ich bin dabei, das Haus von meinem Körper zu lösen. Nichts als ein unnötiger schwerer Rucksack, den man da mit sich herumschleppt. Noch ein paar Tage und dann ist es geschafft.“ „Hältst du das tatsächlich für einen guten Gedanken, junger Freund?“ „Lass mich. Ich habe keine Zeit. Wer weiß, was mir alles entgeht, während ich hier mit dir rede. Ich muss weiter. Ich habe keine Zeit, keine Zeit…“ Die Worte des jungen Schneckerisch erschreckten Cassiopeia zutiefst. Immer öfters hörte er die jungen Schnecken derart von der Zeit sprechen. Als wäre die Zeit ein Feind. Einige Tage später, Cassiopeia hatte es sich auf einem Stein bequem gemacht, er sinnierte gerade über nichts, kam eine Schnecke des Weges. Ja, kein Zweifel, es war eine Schnecke, aber sie war so ganz und gar anders. Sie hatte kein Haus, nur ihren nackten Körper. „Oh“, hörte unsere Schnecke ihren so fremden Artgenossen schluchzen, „was war ich doch ein Tor“. Kläglich weinte dieses nackte, von sich selbst so weit entfernte Wesen, vor sich hin. „Was war ich doch ein Tor!“ „Entschuldige! Bist du die Schnecke, die mir über den Weg geschleimt ist? Die, die unbedingt ihr Haus loswerden wollte?“ „Ja, das bin ich. Was war ich doch ein Tor. Sicher, schneller bin ich geworden, seit dem Tag, als ich mein Haus ablegte. Aber wohin hat es mich geführt? Nirgendwo hin. Im Regen steh ich. Keiner will mit mir reden. Ich bin ein Fremder. Was ist schon eine Schnecke ohne Haus, in das sie sich zurückziehen kann. Ein Haus, in dem man seine Ruhe hat. Nichts ist sie, sag ich dir!“ „Das tut mir leid, mein junger Freund. Hättest du dir Zeit genommen, gut darüber nachgedacht, wärst du bestimmt zu einem anderen Ergebnis gelangt. Wenn du magst, bleib bei mir. Ich kenne einen großen Pilz ganz in der Nähe, unter dem ist Platz für uns zwei. Du hast ein Dach über dem Kopf und gemeinsam können wir die Zeit verstreichen lassen. Du wirst sehen, wie schön das ist.“
„Fertig?“ „Ja, fertig. Hier ist dein Taschengeld.“ „Hmm. Eigentlich hab ich noch ein wenig Zeit. Könntest mir doch noch von der Schnecke erzählen. Oder gibt es da nichts mehr zu erzählen?“ „Oh doch. Da wäre noch die Geschichte, als die beiden Schnecken auf ihre erste gemeinsame Zeitreise gingen. Wäre das was? Und dann ist da natürlich noch die Geschichte über die Geburt der zweiten Nacktschneckengeneration und deren Lehre über die Zeitlosigkeit.“ „Oh ja. Das klingt gut!“
_________________ Der Kopf denkt weiter als man denkt.
Zuletzt geändert von Otti am Sa 24. Mär 2007, 20:39, insgesamt 1-mal geändert.
|