<b>Zwienachten</b>
Sie sitzt am Fenster, in der Hand eine dampfende Tasse Kakao. Ihr Blick geht weit, sieht durch die Landschaft, die Bäume und Häuser, fokussiert nicht, schwebt, verschwimmt, schaut hinter die Welt. Ein zarter Ton weht von ihren Lippen, als sie über die Tasse bläst, den Kakao zu kühlen. Sie nippt, bläst, nippt. Es ist vorbei. Für dieses Jahr ist es vorbei. Sie hat die Tage überstanden. Sie hat den Trubel vorher überstanden und die Stille in der Zeit zwischen den Zeiten. Warum immer wieder? Warum lässt sie sich immer wieder hinein ziehen? Die Lichter, die Musik, die festlich geschmückten Fenster. Sie rufen ihr zu: mach mit. Das Fest der Liebe, der Familie. Du kannst dich nicht ausschließen. Sie lässt sich überreden vom Duft nach Glühwein und gebrannten Mandeln. Lässt sich beschwatzen von Glockenklängen und Engelshaar. Sie schmückt die Wohnung, stellt Kerzen ins Fenster, hängt bunte Glaskugeln in Tannenzweige. Sie backt und kocht. Sie putzt und räumt. Und dann sitzt sie alleine vor dem Fernseher und hört den Kinderchor "Kommet ihr Hirten" singen. Sitzt alleine mit ihrem Glas Rotwein und verflucht die Träne, die ihr über die Wange rinnt. Sitzt alleine vor dem Toast mit Lachs und Aal und schwört sich: nächstes Jahr nicht mehr. Und wenn dann nächstes Jahr der Advent kommt ...
© U.L., Dezember 2007
_________________ Auf zu neuen Ufern
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