Noch jemand, der seine Rolle nicht kann – so wie Rilkes „Malte Laurids Brigge“, wie Virginia Woolf in „Zwischen den Akten“, wie Dostojewskis „Idiot“, wie Emily Dickinson, von der Jean Rhys ein Gedicht ihrem Buch vorangestellt hat, das vom Verstoßensein spricht.
In Paris sind schon immer die verlorenen Seelen herumgeirrt, die die Rolle nicht wissen, die zu spielen ist, die nicht dazugehören zur etablierten Gesellschaft und ihren unausgesprochenen Spielregeln, die sich dessen bewußt sind und darum ihrer Umgebung und den Menschen mißtrauen, die ständig mit Kränkung und Demütigung und Entlarvung rechnen, und die glauben, daß alle Menschen ihre Ausgesetztheit und ihre Schande, nicht dazuzugehören, meilenweit riechen – was, davon bin ich überzeugt, auch der Fall ist, denn Menschen sind mit einem Killerinstinkt ausgestattet, der die Schwäche im anderen riecht. (S 126 ff)
Und du lebst in einer Welt, in der du immer unter Verdacht stehst, wo du beobachtet, und taxiert wirst: „Wer bist du überhaupt? Wer ist dein Vater, und hast du Geld, und wenn nicht, warum nicht? Gehörst du zu uns? Wirst du denken, was man dich denken heißt, und sagen, was man von dir erwartet?“ (S.121)
Und sie fürchten uns, die Dazugehörigen, sie haben Angst vor uns, vor unserem Blick, der auch sie durchschaut und auf Rache sinnt für die Kränkung, nicht respektiert zu werden, vor dem scharfen, wachsamen Blick des Außenseiters, der sich immer bedroht und verfolgt fühlt.
Wir fürchten sie und sie fürchten uns.
Aber nur wir schämen uns dafür, abgelehnt zu sein; sie schämen sich nie dafür, abzulehnen und zu verstoßen.
„Ich gebe mir alle Mühe, aber immer durchschauen sie mich.“ (S.48)
„Bitte, bitte, ich gebe mir solche Mühe, wie Sie zu sein. Ich weiß, daß ichs nicht schaffe, aber sehen sie doch nur, welche Mühe ich mir gebe.“ (S.138)
Oder entsprechend trotzig zu singen:“Du magst mich nicht, aber ich mag dich auch nicht ...“ (S.63)
Geschichten von Nichtigkeit davon, und daß alles vergessen werden soll:
vom toten Kind (S.80 ff), vom Kätzchen (s.76 ff)
„Ich bin mein Leben lang so lächerlich gewesen, daß es auf ein bißchen mehr oder weniger jetzt nicht mehr ankommt.“
Und ich für mein Teil weiß jetzt besser, warum ich nicht über den Orient schreiben kann, warum es für mich nichts zu schreiben gibt. Ich bin eine von denen. V.S. Naipaul hat dazu in seinem Vorwort alles gesagt.
Die Geschichte von der kahlköpfigen Engländerin im Modeladen – du wirst ihr in ahnlicher Gestalt bei Tania Blixen in der ersten der sieben phantastischen Geschichten wiederbegegnen, Otti.
Ach, es gibt noch so vieles in diesem Buch, ich kann es nicht zusammenfassen, es muß Wort für Wort gelesen werden, es gibt kein Wort zu viel darin.
Danke, Otti!